KAPITEL 4

Marketing ist Mitwirkung

In diesem Kapitel:

Bei Marketingkampagnen mit Social Media ist von entscheidender Bedeutung, ob und wie Sie Ihre Zielgruppen nicht nur erreichen, sondern auch einbeziehen können. Wie Sie aus den vorherigen Kapiteln wissen, ist es wichtig, sich konstant zu engagieren, um einen echten Meinungsaustausch anzustoßen. In diesem Kapitel zeigen wir Ihnen Beispiele aus der Praxis dazu, wie Unternehmen durch das Engagement in Social Media mit Kunden und Geschäftspartnern in einen Dialog kommen und erfolgreich eine aktive Community aufbauen. Außerdem erfahren Sie, wie Sie Probleme im Bereich des Reputationsmanagements mithilfe von Social-Media-Kanälen vermeiden oder besser in den Griff bekommen.

Das Cluetrain-Manifest: Märkte sind Gespräche

Im April 1999 veröffentlichten mehrere Marketinggurus als Vorwegnahme zum Social Media Marketing von heute 95 Thesen als Das Cluetrain-Manifest. Die Botschaft ist so einfach wie genial. In Märkten geht es darum, miteinander zu sprechen – oder anders ausgedrückt: Märkte sind Gespräche.

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Wenn Du heute nur Zeit hast für eine Einsicht, dann sollte es diese sein …

Wir sind keine Zuschauer oder Empfänger oder Endverbraucher oder Konsumenten
Wir sind Menschen - und unser Einfluß entzieht sich eurem Zugriff.

Kommt damit klar.

Abbildung 4-1 Vorspann des Cluetrain-Manifests mit der wichtigsten Aussage laut David Weinberger, einem der Autoren

Tipp

Die 95 Thesen des Cluetrain-Manifests stehen online unter http://www.cluetrain.com/auf-deutsch.html zur freien Verfügung.

Das Cluetrain-Manifest war seiner Zeit um Jahre voraus. Seit dessen Veröffentlichung haben sich Social Media und Meinungsaustausch im Internet stark verbreitet. Die zentrale Botschaft des Manifests ist auch in Zeiten der ständigen Diskussion um die Steigerung von Follower-Zahlen, die richtigen KPIs und die Conversion-Optimierung der Garant für nachhaltig erfolgreiches Social Media Marketing. Es ist und bleibt wichtig, sich auf einen aufrichtigen und wertvollen Meinungsaustausch einzulassen.

Internet und Social Media haben die Kommunikation zwischen Unternehmen und (potenziellen) Kunden erleichtert. In der Folge ist der Erwartungsdruck seitens der Verbraucher gestiegen. Da diese ihre Meinung zu Produkten und zum Unternehmen in Blogs, bei Twitter oder auf Social-Media-Plattformen wie Facebook kundtun, rechnen sie mit einer zügigen und ebenso öffentlichen Rückmeldung. Als Unternehmen sollten Sie sich darauf einstellen und die Prozesse Ihrer Kommunikation darauf abstimmen.

Haben Sie schon einen Social CEO?

Fangen Sie an, das Mindset von Social Media im gesamten Unternehmen zu fördern. Ein Geschäftsführer muss über ein grundsätzliches Verständnis verfügen, um Entscheidungen über Budget und Personalressourcen zu treffen. Er sollte selbst Hand anlegen können, was in den sozialen Medien in der Regel sehr gut ankommt. Ein Profil bei XING oder LinkedIn ist ein sinnvoller Anfang. Schön ist es auch, wenn der Chef Blogbeiträge schreibt oder twittert, vielleicht kann er sogar in einem Video über die jüngsten Entwicklungen sprechen.

Die Führungsetage muss sich an den Gedanken gewöhnen, dass es nicht mehr ausreicht, mit würdiger Miene die Quartalszahlen zu veröffentlichen. Die Kunden möchten die Menschen hinter dem Unternehmen und der Marke kennenlernen. In großen Unternehmen tun sich die Führungskräfte mit Social Media häufig noch schwer, und letztlich ist wenig gewonnen, wenn das Presseteam des Unternehmens den Twitter-Kanal des Vorstands betreut.

Der Vorstandssprecher von SAP, Bill McDermot, twittert schon einige Jahre ausgesprochen erfolgreich als @BillRMCDermot, und auch der CEO von Siemens, Joe Kaeser, ist als @JoeKaeser auf Twitter aktiv, wie Sie Abbildung 4-2 entnehmen können.

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Abbildung 4-2 Twitternde CEOs

Damit verkörpern die beiden Konzernlenker weiterhin eine Minderheit unter den CEOs der DAX-Konzerne. Bei allen Vorteilen, die ein Social CEO mit sich bringt, gibt es auch Risiken und Nachteile. Die gewonnene Reichweite und die Reputation hängen primär an der handelnden Person, was bei einem Wechsel knifflig werden kann. Die damit verbundenen Probleme zeigten sich eindrucksvoll beim Weggang von Karl-Thomas Neumann, der während seiner Vorstandstätigkeit für Opel erfolgreich twitterte. Mittlerweile existiert der Account nicht mehr, sodass weder Opel noch Neumann selbst noch davon profitiert. Doch auch während der aktiven Phase sollte die Kommunikationsabteilung den twitternden CEO eng begleiten, denn wenn dieser eine kritische Aussage tätigt, bekommt das Unternehmen schnell viel Aufmerksamkeit. Letztlich muss nicht jeder CEO twittern, sondern nur jene Entscheider, die gern und geübt mit Social Media hantieren. Auch sie sollten sich jedoch von ihrem Kommunikationsteam unterstützen lassen – wann immer nötig. Dieses Teamwork ist unerlässlich, denn wenn der CEO an einer wichtigen Vorstandssitzung teilnimmt, kann er nicht gleichzeitig die Reaktionen auf seine Tweets verfolgen und darauf angemessen reagieren.

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Abbildung 4-3 Der amerikanische Publizist Doc Searls, der gemeinsam mit Rick Levine, Christopher Locke und David Weinberger das Cluetrain-Manifest schrieb (Foto: Doc Searls)

Cluetrain-Manifest revisited: New Clues

In einem Artikel für das Wirtschaftsmagazin »Brand Eins« bekräftigten 2012 Doc Searls und David Weinberger vom Autorenteam des Cluetrain-Manifests, dass ihre Thesen nach wie vor Bestand haben – und immer noch zu wenig verinnerlicht werden: »Einige Unternehmen hören heute besser zu als 1999, weil sie keine andere Wahl haben. Aber die Schwungräder des Business as usual drehen sich weiter. Sie betreiben Tracking und Targeting, sie fangen und akquirieren, managen und verwalten ›ihre‹ Kunden, als ob wir Sklaven oder Vieh wären«, kritisiert Doc Searls die Situation.1

Die beiden Tech-Denker veröffentlichten 2015 mit den New Clues 121 neue Thesen (http://newclues.cluetrain.com/). Die wichtigste These des ursprünglichen Manifests (»Märkte sind Gespräche«) bestätigen sie als weiter essenziell. Sie warnen vor der fortschreitenden Kommerzialisierung des Internets und erinnern an den wichtigsten Fortschritt, der durch das Internet entstand: die direkte Verbindung von Menschen. Sie betonen, dass Transparenz und Authentizität für die Kommunikation zwischen Unternehmen und Konsumenten entscheidend sind. Internetnutzer müssen jederzeit wissen, ob und in welcher Funktion ein Unternehmensvertreter mit ihnen kommuniziert.2

Bieten Sie Ihren Kunden und Geschäftspartnern wirklichen Austausch und gehen Sie mit gutem Beispiel voran, falls Ihre Branche in Social Media noch wenig aktiv ist. Befürchten Sie, dass Sie innerhalb Ihres Geschäftsfelds zu spät kommen? Seien Sie unbesorgt, das Social Web bietet jedem Unternehmen die Chance, seine individuelle Seite zu zeigen. Nirgendwo sonst können Sie sich so unmittelbar von Ihrer Konkurrenz abheben.

Mitwirkung ist Marketing

Chris Heuer, Experte für New Media Marketing, prägte den Ausspruch »Marketing ist Mitwirkung«. Heuer betont, dass im Marketing die besten Köpfe diejenigen sind, die sich an den Communitys ihrer Kunden beteiligen und nicht ausschließlich darauf aus sind, schnell den Abverkauf ihrer Produkte zu steigern. Schließlich seien Unternehmen und Organisationen dazu da, Menschen bei konkreten Fragen, Problemen und Bedürfnissen zu helfen. Aggressives Marketing für Waren und Dienstleistungen sei überholt und werde schlecht aufgenommen: Die Menschen haben es satt, immer die gleiche Werbebotschaft in Social Media zu hören.

Das Mantra »Marketing ist Mitwirkung« funktioniert in beide Richtungen. Wenn Marketingmenschen an Communitys teilnehmen, lässt sich das als »Mitwirkung ist Marketing« übersetzen. Diese Beteiligung gibt dem Unternehmen ein menschliches Gesicht und ist nicht ausschließlich profitgetrieben, wenn Sie es richtig machen. Umgekehrt bestätigen Community-Mitglieder, dass sie es interessant finden, wenn Unternehmen an der Kommunikation teilnehmen. Mitwirkung ist keine Einbahnstraße, und Loyalität entsteht dadurch, dass Sie authentische Beziehungen mit Mitgliedern der Community aufbauen. Chris Heuer sagt dazu:

Wenn Sie nur aus dem Grund dort sind, der Community etwas zu verkaufen, werden die Menschen das schnell merken, und Sie haben nicht den Erfolg, den Sie haben könnten. Wenn Sie aber teilnehmen, weil Sie einen echten Beitrag zur Community leisten, Ihr Wissen teilen und der Community und ihren Mitgliedern einen Dienst erweisen möchten, dann werden Sie an die richtige Zielgruppe verkaufen, eben weil Sie so ehrlich und aufrichtig sind.

Vertrauen ist nicht durch Geld zu erwerben. Das sollten Sie bedenken, wenn Sie bei sich oder Ihren Konkurrenten inflationär eingesetzte Gewinnspiele und Rabattaktionen beobachten. Zentrales Ziel erfolgreichen Marketings in Social Media sollte sein, vertrauensvolle und nachhaltige Beziehungen aufzubauen.

In den bisherigen Kapiteln haben wir gesehen, wie wichtig es ist, Gespräche zu beobachten, zuzuhören und auf Feedback zu reagieren. Der Schlüssel ist hier, an den Communitys teilzunehmen, in denen Ihre Marke, Ihr Produkt oder Ihre Dienstleistung erwähnt wird, und sich mit authentischen Interaktionen einzubringen. Es genügt nicht, ein Blog zu pflegen oder auf Ihrer Website Presseerklärungen zu veröffentlichen, um sich an der Community zu beteiligen. Begleiten Sie diese vielmehr intensiv, um ihre Stimmung und Mentalität zu verstehen. Mitwirkung erfordert einen kontinuierlichen zwischenmenschlichen Dialog. Zwingen Sie dabei der Community Ihre Botschaft nicht auf.

Tipp

Seit 2007 findet jährlich in Berlin das CommunityCamp statt. Bei diesem etablierten Themen-Barcamp tauschen sich Community und Social Media Manager aus der DACH-Region zu Community-Management, Besucherbindung und Monitoring aus.

Wer oder was steckt hinter Ihrer Marke?

Wenn Sie bereit sind, sich einzubringen, sollten Sie eine umfassende Strategie für die Communitys entwickeln, in denen Ihre Produkte diskutiert werden. Zeigen Sie transparent, wer oder was sich hinter Ihrem Markennamen verbirgt. Sind Sie Hersteller von hochwertigen Marmeladen? Posten Sie nicht nur schöne Werbefotografien Ihrer Marmeladengläser. Knipsen Sie stattdessen den Blick in die großen Töpfe der Herstellung. Berichten Sie, wie viele Tonnen Obst jährlich angeliefert werden, oder erzählen Sie von der Arbeit Ihrer Entwicklungslabors. Als kleine Fahrschule könnten Sie irrsinnige Straßenführungen und Schilder in Ihrer Umgebung fotografieren, Ihre Fahrlehrer vorstellen und Übungsmaterial für Ihre Kunden bereitstellen. Sie betreiben ein kleines Café? Stellen Sie Ihre Räumlichkeiten und den Chefkonditor vor und interviewen Sie treue Stammgäste. Berichten Sie über Ihr soziales Engagement, wenn Sie übrig gebliebene Waren an die Tafel geben oder Obdachlosen regelmäßig Kaffee und Kuchen spendieren.

Für alle Unternehmen gilt: Liefern Sie den exklusiven Blick hinter die Kulissen. Veröffentlichen Sie Informationen mit Mehrwert und zeigen Sie, dass Sie die Werte Ihres Unternehmens leben. Das bedeutet, dass auch Ihre Emotionen und Ihre Meinung nicht fehlen sollten, um den Dialog mit der Community zu starten und permanent zu befeuern. Solche Inhalte bleiben länger in den Köpfen der Internetnutzer hängen als die zehnte Rabattaktion.

Heutzutage sind nicht nur Unternehmen, sondern auch Vereine, Politiker oder öffentliche Institutionen wie die Stadtverwaltung, der lokale Energieversorger oder die Stadtbücherei auf Social Media vertreten. Feuerwehr und Polizei nutzen in immer mehr Städten die schnelle Informationsübertragung auf Twitter, um die Bevölkerung zu informieren. Auch auf Facebook, Instagram und anderen Social-Media-Plattformen präsentieren sie ihre Arbeit und stellen sich dem Dialog mit den Bürgern. Ganz ohne Risiko ist das nicht, denn manche ihrer Themen lösen Diskussionen aus und locken Trolle und Hater an.

Praxisbeispiel: Die Polizei Frankfurt im Social-Media-Dialog

Einer der Vorreiter im Social Web ist die Polizei in Frankfurt am Main. Ihr Team besteht ausschließlich aus Polizisten, die sich in Sachen Social Media weiterbilden und daran Freude haben. Wir haben mit André Karsten gesprochen, dem stellvertretenden Leiter Soziale Medien der Pressestelle. Der Polizeihauptkommissar kam 2006 zur Polizei und arbeitet seit 2014 im Bereich Social Media der Polizei Frankfurt. Für seine neue Aufgabe brachte er viel Erfahrung in den Bereichen Musikbranche, Werbung, Naturschutz und Kino mit. Auf Twitter sorgte er 2018 für die Wortschöpfung #Trollkragenpullover und wurde dafür gelobt und gefeiert – selbst der Dudenverlag wurde auf die kreativen Frankfurter Polizisten aufmerksam. Ein schönes Beispiel, wie mit der nötigen Portion Humor auch Trolle adressiert und in ihre Schranken verwiesen werden können.

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Abbildung 4-4 André Karsten, Polizeisprecher Soziale Medien bei der Polizei Frankfurt am Main

Interview

»Frankfurt gehört zu uns und wir zu Frankfurt«

Ein Interview mit André Karsten, Polizeisprecher Soziale Medien bei der Polizei Frankfurt am Main

Durch meine Arbeit für den Social Media Club Frankfurt verfolge ich schon längerer Zeit die Aktivitäten der Frankfurter Polizei im Netz. Bereits zweimal hatten wir Sie bei unseren Veranstaltungen zu Gast. Die Polizei in Frankfurt hat auf Twitter ihre ersten Schritte ins Social Web unternommen und über die Jahre die Palette mit Facebook und Instagram erweitert. Was sind die wichtigsten Ziele der Social-Media-Arbeit der Polizei Frankfurt?

André Karsten: Unsere analoge Arbeit ins Digitale zu übertragen, ist unser wichtigstes Ziel. Darunter fällt der schnelle, direkte und unkomplizierte Kontakt zu den Menschen bei allen auftretenden Fragen. Wir wollen auch im Internet professionell und freundlich auftreten und erreichbar sein, zum Beispiel um bei einer Bombenentschärfung schnell alle notwendigen Informationen einem möglichst großen Personenkreis zukommen zu lassen. Wir wollen aber auch Tipps und Verhaltensweisen zum besseren Selbstschutz vor möglichen Straftaten geben. Des Weiteren möchten wir einen Blick hinter die Kulissen ermöglichen. Das soll die Polizei mit all ihren Facetten zeigen. Interessierte Menschen können sich so ein komplettes Bild von uns und unserer Arbeit machen.

In Social Media geht es darum, genau zuzuhören und mit der Zielgruppe in einen Dialog zu treten. Für ein Unternehmen sind das (potenzielle) Kunden, für die Polizei Frankfurt im Grunde »alle Bürger« (und die Gäste) der Stadt. Wie gehen Sie damit um, dass Ihre Zielgruppe derart heterogen ist?

André Karsten: Wir kennen Frankfurt nicht anders und lieben diese Stadt genau deshalb. Als hessische Polizei sind wir ebenfalls eine sehr heterogene Gruppe von Menschen. Der Umgang mit den Frankfurtern fällt uns somit auch nicht schwer. Frankfurt gehört zu uns und wir zu Frankfurt: Identifikation ist alles.

Sie bespielen derzeit die Kanäle Twitter, Facebook und Instagram. Haben Sie eine Präsenz auf Snapchat in Erwägung gezogen, um die sehr junge Zielgruppe zu erreichen?

André Karsten: In der Tat hatten wir die Pläne für Snapchat schon auf dem Tisch, und der Polizeipräsident hatte den Go Live bereits abgenickt. Als wir dann starten wollten, trat Instagram mit Stories auf den Plan. Da wir bereits auf Instagram gestartet waren und dort auf eine treue Community zählen konnten, legten wir Snapchat kurzerhand auf Eis. Das war darüber hinaus eine personalschonende Entscheidung. Uns wurde das bis heute nicht negativ beschieden, und wir haben es nicht bereut.

Arbeiten Sie auch mit Messenger-Diensten oder haben dies vor?

André Karsten: Dem Thema Messenger haben wir uns bereits angenähert und viele Gespräche mit Firmen in diesem Bereich geführt. Aktuell sehen wir aufgrund von rechtlichen und finanziellen Gründen aber noch keine Möglichkeit für uns, das Thema für alle zufriedenstellend anzugehen. Wir bleiben aber definitiv dran, da wir davon überzeugt sind, dass Messenger, wie schon in den letzten Monaten, einen immer höheren Stellenwert in der Kommunikation zwischen Menschen über das Internet einnehmen werden. Da möchten wir natürlich auch für die Menschen ansprechbar sein.

Definition

Bei einem Troll handelt es sich um einen Störenfried im Internet. Er hat kein Interesse an einer Diskussion, sondern sabotiert diese und provoziert bevorzugt Mitglieder der Community. Die bekannte Regel zum Umgang mit Trollen lautet daher: »Do not feed the troll!«, was bedeutet, dass ihnen möglichst wenig Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Reagiert niemand auf den nervigen User, »trollt« er sich in der Regel auch schnell wieder.

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Abbildung 4-5 Mit dem #Trollkragenpullover zeigte die Polizei Frankfurt einen humorvollen Umgang mit pöbelnden Zeitgenossen.

Ihnen ist es gelungen, eine interessierte Community und treue Fangemeinde aufzubauen, die auch einmal gegen Pöbler und Trolle eintritt. Hilft sich die Community manchmal selbst, sodass Nutzer Fragen beantworten, die an Sie gerichtet sind? Wie gehen Sie damit um?

André Karsten: Wir stellen immer wieder mit Freude fest, dass die Community sich auch untereinander zu helfen weiß. Viele sehr ähnliche Fragen werden von verschiedenen Menschen immer wieder an uns gestellt. Aufmerksame Follower beantworten dann schon mal gern diese Fragen für andere Teilnehmer der Community – und das auch zu 100 Prozent richtig. In unseren Augen ist das eine schöne Entwicklung, die wir gerne unterstützen. Im selben Moment haben wir natürlich immer ein Auge auf den Antworten und greifen ein, wenn diese falsch sind oder wir noch was ergänzen können.

Den Menschen mit einem schnellen Medium wie Twitter entgegenzukommen, um bei Demonstrationen, Fußballspielen oder Bombenentschärfungen zeitnah zu informieren, ergänzt hervorragend Medien wie Radio und TV, die gerade von jüngeren Menschen nicht mehr besonders rege genutzt werden. Führt die niedrigschwellige Kommunikation auch dazu, dass die Menschen das Angebot ausnutzen? Wer wissen will, warum der Polizeihubschrauber über dem Viertel kreist, hätte früher vielleicht nicht gleich bei der Polizei angerufen – auf Twitter nachzufragen, geht schnell und ist bequem. Andererseits werden durch den öffentlichen Austausch auf Social Media gleich mehr Menschen informiert. Wie sehen Sie nach einigen Jahren das Pro und Kontra?

André Karsten: Die Pros überwiegen definitiv noch immer. Wir haben genau das erreicht, was wir wollten: einen weiteren (digitalen) Kommunikationskanal zu öffnen, der auch rege genutzt wird. Wir erhalten viel Feedback auf unsere Arbeit, aber auch Lob sowie Anteilnahme, wenn Kolleginnen und Kollegen im Einsatz verletzt werden. Und natürlich auch konstruktive Kritik, die uns am meisten weiterbringt. Es werden viele Fragen über unseren Job gestellt, meist vom interessierten Nachwuchs. Und wie schon erwähnt, erreichen wir mit unseren Informationen noch einfacher und schneller mehr Menschen. Das sind unglaublich gute Seiten des Mediums.

Auf der anderen Seite nutzen Menschen die Kanäle aber auch, um uns zu beleidigen, zu trollen, oder einfach nur, um täglich ihrem Ärger über jegliche Dinge in Frankfurt Luft zu machen. Das gehört aber dazu, alles andere wäre weltfremd. Und wir können damit auch gut umgehen. Das ist Teil unseres Jobs.

Ihre Themenvielfalt ist groß, von eher zeitlosen Bereichen wie Kriminalprävention oder Nachwuchssuche bis zu brandaktuellen Themen. Arbeiten Sie mit einem Redaktionsplan, und wie gehen Sie bei Ihrer Content-Planung vor?

André Karsten: Meist werden unsere Beiträge durch die täglichen Pressemeldungen und Einsätze der Polizei bestimmt (wie beispielsweise Demonstrationen, Sportveranstaltungen oder Staatsbesuche), da hilft ein Redaktionsplan nur bis zu einem gewissen Maß weiter. Was wir jedoch täglich machen, ist eine morgendliche Redaktionssitzung, bei der die Ereignisse des Vortags und der Nacht besprochen werden. Über den Tag werden die Beiträge an verschiedene Mitarbeiter verteilt, die sich dann selbstständig um die Veröffentlichung (nach Sichtung der Leitung) kümmern. In unregelmäßigen Abständen führen wir ein kreatives Brainstorming durch und suchen Ideen dazu zusammen, welche Beiträge, Videos oder Bilderserien wir erstellen könnten.

Social Media der Polizei Frankfurt – quo vadis? Wohin soll die Reise gehen, welche Aktivitäten wollen Sie verstärken, und auf was würden Sie künftig eher verzichten?

André Karsten: Wir bestimmen den Weg nicht: Das klingt unselbstständig, ist aber sehr befreiend. Wir hören genau hin, was die Menschen in Frankfurt sich von uns wünschen. Wir schauen uns Trends in der Kommunikation an. Irgendwo dazwischen liegt unser Weg. Den Kurs werden wir noch oft anpassen. Das ist eine gute Sache, da wir dynamisch, kreativ und offen bleiben müssen. Wir würden gern mehr Bewegtbild machen und endlich YouTube nutzen. Pläne für einen Podcast haben wir auch bereits. Thema Verzicht: Was mit Facebook passiert, beobachten wir noch. Aktuell ist die Verrohung in den Kommentaren unter einigen Beiträgen von uns mit ein Grund dafür, dass wir dort eine Neuausrichtung anstreben. Es ist nicht unsere Aufgabe, politische Diskussionen zu eröffnen oder zu moderieren. Natürlich greifen wir ein, wenn die Netiquette verletzt wird, es zu Ordnungswidrigkeiten und gar Straftaten kommt. Das ist unser Job. Ob es die Möglichkeit für uns gibt, in den immer mehr durch Facebook gepushten Gruppen zu agieren oder selbst welche zu eröffnen, werden wir beobachten.

Und wie bereits angesprochen, ist das Thema »Messenger« noch nicht vom Tisch, wie wir das aber realisieren können, müssen wir noch sehen. Was auch immer die (digitale) Zukunft bereithält, wir als Polizei werden uns immer darauf einstellen und reagieren. Das kann und sollte Frankfurt jederzeit von uns erwarten.

Lieber Herr Karsten, wir danken Ihnen sehr herzlich für das Gespräch und wünschen der Polizei Frankfurt weiterhin wenige Trolle und viel Erfolg in Social Media.

»Marketing ist Mitwirkung« für PR-Profis

Die PR war in den letzten Jahren gewaltig im Umbruch und erlebte einen Paradigmenwechsel. Die alleinige Ansprache der Zielgruppen per Werbeanzeigen, TV-Spots, Post, Telefon oder E-Mail ist weitgehend passé. Entsprechend dem Leitmotiv »Marketing ist Mitwirkung« müssen auch PR-Profis echte Beziehungen zur Öffentlichkeit aufbauen, die über eine klassische Presseerklärung hinausgehen. Onlinecommunitys sind heute für die meisten Menschen und insbesondere die jüngeren Generationen einflussreicher als die traditionellen Medien. Eine erfolgreiche Social-Media-Kampagne kann von einem Moment auf den anderen ein Produkt bei Hunderttausenden von Nutzern bekannt machen. Social-Media-Konsumenten suchen nicht nach einer traditionellen PR-Nachricht, sondern nach Informationen, die ihnen persönlich weiterhelfen. Sie verlassen sich dabei häufig auf die Beiträge in angesehenen Communitys und folgen Empfehlungen aus ihrem Netzwerk, auch von Influencern.

Der ideale PR-Profi ist ein aufmerksamer, emphatischer und aktiver Teilnehmer der Community und nicht einfach nur jemand, der eine Botschaft veröffentlicht, die im schlimmsten Fall niemanden interessiert.

Größere Markenbekanntheit und Imagewechsel durch Social Media

Ein herausragendes Beispiel für eine umfassende Marketingkampagne mit Social-Media-Engagement und viralem Effekt ist die Parfummarke »Old Spice«. Als »Altherrenduft« wahrgenommen, wirkte die Marke altmodisch, und der Umsatz war miserabel –Deodorant, Duschgel & Co. von Old Spice standen vor dem Aus.

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Abbildung 4-6 Der Old Spice Man in seinem ersten Werbeclip (Quelle: YouTube)

Dann führte Procter & Gamble (P&G) eine Kampagne durch, die zunächst ganz klassisch begann. Sie drehten ein Werbevideo, in dem ein durchtrainierter, attraktiver Mann für ein Duschgel der Marke wirbt.

Der ehemalige Footballstar Isaiah Mustafa steht leicht bekleidet im Badezimmer, läuft über eine Jacht und sitzt auf einem Pferd – alles werbetypische Plattitüden. Das Besondere: Er spricht nicht die Männer an, die den Duft tragen sollen, sondern die Frauen, denen der Duft an ihrem Mann gefallen soll. Das Video »The Man Your Man Could Smell Like«3 wirkt durch die selbstironische Ansprache Mustafas an das weibliche Publikum witzig, überraschend und sympathisch.

Erstmals ausgestrahlt wurde der Clip im amerikanischen Fernsehen während eines Superbowl-Finales. Gleichzeitig stellte die durchführende Werbeagentur Wieden+Kennedy den Spot bei YouTube ein und richtete eine Website sowie Präsenzen auf Facebook und Twitter ein. Nach der Erstausstrahlung im Fernsehen verbreitete sich das Video über YouTube, viele Tausend Menschen kommentierten und stellten es auf ihren Onlineprofilen ein. Schließlich erhielt es sogar den »Lion International«, den Werbe-Oscar, auf dem Branchenfestival in Cannes. Bis dahin hatten bereits mehrere Millionen Menschen das Video mit dem »ridiculously handsome man«, wie sich Mustafa selbst bezeichnet, auf YouTube aufgerufen.

Wenig später ging P&G zur nächsten Stufe der Kampagne über: Via Twitter und Facebook rief der »Old Spice Man« dazu auf, ihm Fragen zu senden. Aus der Masse der Einsendungen wurden 185 ausgewählt, auf die Old Spice mit kurzen, persönlichen Videos reagierte. Sie haben richtig gelesen, die Werbeagentur drehte 185 Videos,4 in denen Isaiah Mustafa persönlich Rede und Antwort stand – innerhalb von nur zwei Tagen und auf lässige und witzige Art und Weise. Der Twitter-Follower Johannes schrieb beispielsweise: »@OldSpice Can U Ask my girlfriend to marry me?« Die Agentur filmte einen Heiratsantrag mit Kerzen und Verlobungsring, und Mustafa fragte stellvertretend für Johannes, ob die Herzensdame den Bund der Ehe eingehen wolle.

Auch prominente Twitter-Follower wie Ashton Kutcher oder Unternehmen wie Starbucks nutzten die Chance, um eine Videoantwort und damit Öffentlichkeit zu bekommen. Die Aufmerksamkeit für die Old-Spice-Kampagne potenzierte sich regelrecht, denn so erreichte das Unternehmen auch die Follower und Fans dieser Menschen und Unternehmen. Gleichzeitig begannen YouTuber, den Stil des Old Spice Man in eigenen Videos nachzuahmen.

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Abbildung 4-7 Die deutsche Facebook-Seite von Old Spice

Die Kampagne besticht durch Witz, Originalität und die gekonnt selbstironische Darstellung sowie die außergewöhnlich gute Einbeziehung der Fans und Follower. Auch die Zahlen stimmen:

  • Bis zum Herbst 2019 wurde der Werbeclip »The Man Your Man Could Smell Like« 57 Millionen Mal bei YouTube angesehen. Inzwischen hat das Video einen Eintrag bei Wikipedia und wurde mehrfach parodiert, unter anderem von der Sesamstraße5 – was seine Bekanntheit und Relevanz unterstreicht. Auch die anderen Videos überschreiten die Millionenmarke.
  • Mehr als 2,5 Millionen Fans verzeichnet die US-amerikanische Seite Old Spice auf Facebook, und laut P&G gewann der Twitter-Account @OldSpice mehr als 80.000 neue Follower durch die Werbeaktion.
  • Insbesondere zu den starken Zeiten der Kampagne waren deutliche Anstiege der Zugriffszahlen auf Oldspice.com zu erkennen.

Procter & Gamble erreichte

  • eine Steigerung der Markenbekanntheit, insbesondere bei Männern und Frauen zwischen 18 und 34 Jahren,
  • eine deutliche Imageverbesserung weg vom Altherrenduft hin zur Marke für moderne Männer, die sich gern mit den Etiketten »witzig«, »charmant«, »clever«, »attraktiv«, »gesund« und »sportlich« schmücken, sowie
  • eine hohe mediale Aufmerksamkeit und eine ausgiebige Berichterstattung aufgrund der außergewöhnlichen Werbevideos und einer perfekten Durchführung der Kampagne.
  • Durch die hohe Interaktion mit Kunden, Fans, Multiplikatoren und Promis ist die Kampagne eine der am schnellsten viral verbreiteten Videomarketingaktionen weltweit.

Bleibt die Frage, ob über die Kampagne der Umsatz gesteigert werden konnte. Zwar wurde schon während des Superbowls mehr Old-Spice-Duschbad verkauft, allerdings gab es zu dieser Zeit auch Gutscheinaktionen im Einzelhandel. Den Umsatzgewinn auf eine bestimmte Aktion zurückzuführen, sei »unmöglich«, bestätigte der P&G-Sprecher Mike Norton. Als der Old Spice Man zu Videoantworten aufrief, berichtet Brandweek von einem »kräftigen Umsatzwachstum«.6

Vor allem hat P&G mit viel Kreativität aus einer alternden, fast vergessenen Marke eine gemacht, die für Erfolg, Modernität und Innovation steht. Und das Unternehmen hat die gesetzten Ziele erreicht, denn bis heute werden große multimediale Kampagnen dieser Art fortgeführt.

Kundenwünsche herausfinden und darauf reagieren

Die folgenden Beispiele erzählen davon, wie Konsumenten versuchen, über Social Media Einfluss zu nehmen, und wie Unternehmen gewinnen können, wenn sie online vorgetragene Kundenwünsche ernst nehmen. Auch Mitmachkampagnen kommen im Netz gut an.

Ritter Sport aktiviert und involviert Fans und Kunden

Ab 1980 verkaufte Ritter Sport die Schokoladensorte »Olympia«. Über die Jahre ging der Umsatz zurück. Daher entschied der Schokoladenhersteller 2003, »Olympia« vom Markt zu nehmen. Über das Web formierte sich schnell eine Bewegung der »Olympia-Fans«, die über Foren und Blogbeiträge und mit Tausenden von E-Mails und Anrufen bei Ritter Sport für die Rückkehr der Schokolade kämpften. Mit Erfolg: Seit Herbst 2009 verkauft Ritter Sport die Tafel wieder. Begleitet wurde die Wiedereinführung von einer umfassenden Social-Media-Kampagne. Alfred T. Ritter, Geschäftsführer von Ritter Sport, rief auf einer eigens eingerichteten Website dazu auf, Fanvideos zu drehen. Eine Jury wählte unter den 100 Einsendungen das beste Video aus und strahlte es im Fernsehen aus.

Außerdem konnten sich auf der Website Olympia-Fans vernetzen, es gab ein Blog, eine Facebook-Seite und einen YouTube-Kanal. Die Wünsche der Verbraucher anzuhören und die Kunden an der Produktentwicklung teilhaben zu lassen, ist für Ritter Sport zur gängigen Praxis geworden. Immer wieder dürfen Schokoladenfans in Crowdsourcing-Aktionen über Rezepturen, Namen und Cover abstimmen oder Vorschläge einreichen. Natürlich gibt es Grenzen, und die Liste der Zutaten ist eingeschränkt, was Ritter Sport aber vorbildlich transparent kommuniziert.

Seit 2012 hat Ritter Sport ein Plakat-Voting auf seinem Blog etabliert. Dort können die Fans über die Sprüche auf Plakaten abstimmen, die zweimal pro Jahr an den größten Bahnhöfen in Deutschland ausgehängt werden. Pro Motiv bekommen sie zwei oder drei Headlines zur Auswahl, dürfen für ihren Favoriten voten und ihre Entscheidung in den Kommentaren begründen.7 Mit dieser relativ einfachen Kampagne bindet Ritter Sport seine Fans ein und bekommt gleichzeitig Feedback und damit kostenfreie Marktforschungsergebnisse.

Zudem können die Fans von Ritter Sport permanent auf die Produktentwicklung Einfluss nehmen. Über die Seite https://www.ritter-sport.de/sortenkreation/#/start ist jeder Schokoladenfan aufgerufen, seine Ideen vorzuschlagen und selbst zum Chocolatier zu werden. Auch Vorschläge für den Namen und die Verpackungsfarbe können die Nutzer einreichen. Zu den Tausenden von Vorschlägen zählen kreative Varianten wie Himmelsmandel, Partykracher oder Seelentröster.

Doch selbst eine Love Brand wie Ritter Sport ist nicht vor Kritik gefeit. Als der Schokoladenhersteller auf Wunsch der Community die limitierte Sorte »Ritter Sport Einhorn« auf den Markt brachte, unterschätzte er die Nachfrage. Innerhalb weniger Minuten stürmten die Schokoladenfans den Onlineshop und kauften bemerkenswerte 300.000 Tafeln. Dieser Andrang zwang den Server in die Knie, was zu vielen kritischen Kommentaren führte, insbesondere auf Facebook.8

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Abbildung 4-8 Das Ritter-Sport-Blog mit Mitmachaktionen

Letztlich war der Aufmerksamkeitseffekt durch die Aktion höher zu bewerten als die negativen Kommentare derer, die leer ausgingen. Was nur eingeschränkt verfügbar ist, wirkt attraktiv und weckt Begehrlichkeiten. Deshalb gab es 2018 als würdigen Nachfolger die noch stärker limitierte Sorte namens »Schoko und Gras«, die zum Welt-Cannabis-Tag auf den Markt kam und Hanfsamen beinhaltete. Auch diese Sorte war in kürzester Zeit ausverkauft, was aber zu weniger Empörung der Fans führte als bei der Einhornschokolade.

Das Blog nutzt Ritter Sport für einen regen Dialog mit den Kunden, bietet relevante Inhalte und Hintergrundwissen und generiert echte Fans und Freunde – auch für den Krisenfall. Neben dem Blog ist Ritter Sport auf Twitter, Pinterest, Facebook, Instagram und YouTube vertreten.

Auch Langnese hört auf seine Kunden

Als Langnese beschloss, das Stieleis »Nogger Choc« nicht mehr zu produzieren, ahnten die verantwortlichen Produktmanager noch nicht, welche Proteststürme sie verursachen würden. Der Hamburger Student Benjamin Gildemeister vermisste schmerzlich sein Lieblingseis und wurde im Web aktiv: Er gründete online die Gruppe »Nogger Choc Vermisser«, die schnell 16.000 Mitglieder zählte. Fast 5.000 von ihnen unterschrieben eine Petition an Unilever. So erfuhr das Unternehmen vom Widerstand der Fans und war begeistert, wie viele Menschen sich engagiert Nogger Choc zurückwünschten.

Seit 2008 gibt es das Eis mit der Nugatfüllung wieder zu kaufen, und es ist weiterhin beliebt und erfolgreich. Langnese stellte noch vor der Wiedereinführung eine Videoantwort ins Netz und bedankte sich bei den Fans, die bei der Korrektur einer Fehlentscheidung geholfen haben. Auf Basis der Nogger-Fans erreichte Langnese mehr als 150.000 Kontakte. Als das Thema in die klassischen Medien »überschwappte«, wurden Millionen Menschen mit der Wiedereinführung von Nogger Choc in Berührung gebracht.

Seither versucht Unilever, am Puls der Zeit zu sein. Dazu hört das Unternehmen, was in Social Media gesprochen wird, um die Zielgruppe zu erreichen und die Bedürfnisse der Kunden zu erfüllen.

Mitmachkampagnen in Social Media

Wenn Sie Mitmachaktionen mit Ihren Kunden planen: Versprechen Sie nichts, was Sie nicht halten können. Sonst geht es Ihnen wie der Henkel-Marke »Pril«, die dazu aufrief, ein neues Etikett zu gestalten und über das beliebteste Motiv abzustimmen. Dieses sollte in einer Sonderedition auf die Flaschen kommen. Die Beteiligung war überragend, mehr als 33.000 Vorschläge gingen ein.

Allerdings nicht alle mit den erhofften Pril-Blumen: Die Kunden stimmten ausgerechnet für die »Hähnchenduft-Edition«, einen als Parodie und Kritik gemeinten Entwurf. Die eifrigen Gestalter und Abstimmenden wurden am Ende enttäuscht. Der Konzern entschied, mithilfe einer Jury selbst aus den zehn beliebtesten Etiketten auszuwählen. Dies sorgte für Spott und Ärger im Social Web, nicht zuletzt, weil Henkel während des Wettbewerbs nicht mit den Teilnehmern in den Dialog ging.9

Dass Mitmachkampagnen ganz anders und tatsächlich wie gewünscht verlaufen können, hat Fanta unter Beweis gestellt. Dort durfte die Community in 2018 mit Beiträgen in Snapchat, Instagram und Facebook darüber entscheiden, welche Geschmacksrichtung die Fanta-Sommersorte 2018 werden sollte.10 Teenager wurden über Snapchat zu einem Wettbewerb aufgerufen, um Plakate für die gewählte Sommersorte Fanta Wildberries zu entwerfen. Elf der mehr als 1.500 Plakatentwürfe wurden schließlich für die Out-of-Home-Kampagne verwendet. Der YouTuber und Influencer Julien Bam warb für die Kampagne und animierte die jungen Snapchatter zum Produzieren des User-generated Content.11 Die transparenten Rahmenbedingungen und die Zusammenarbeit mit einem beliebten Influencer führten zum Erfolg.

Im Sommer 2019 führte Coca-Cola die Kampagne »Fanta X You« mit einem Designwettbewerb fort. Bei der Co-Creation-Kampagne »Shake to Design« gestalteten die Teens das Fanta-Label mit ihren eigenen Moves. Aus den über 3.000 Fanta-Designs wählte eine Jury 27 Gewinnerdesigns aus. Diese zierten anschließend ausgewählte Flaschen und Dosen von Fanta, die deutschlandweit vertrieben wurden.12

Strategien für Social-Media-Communitys

Es ist sinnvoll, auf mehreren Social-Media-Plattformen Profile aufzubauen und zu pflegen. Sie können dadurch die unterschiedlichen Möglichkeiten wie zum Beispiel das Teilen von Fotos, Videos, Dokumenten oder Links nutzen und in verschiedener Weise kommunizieren (Instagram, Facebook, Twitter etc.). Aber wie organisieren Sie die wachsende Anzahl Ihrer Accounts?

Ihr Blog ist Ihr Kommunikationsknotenpunkt

Betrachten Sie Ihr Blog als den Ausgangspunkt und das Zentrum Ihrer Kommunikation im Social Web. Hier bestimmen Sie ganz allein über Ihre Inhalte und die Hausregeln – einen Algorithmus gibt es nicht. Der Vorteil eines Blogs ist, dass Sie unabhängig von neuen oder verschwindenden sozialen Netzwerken Ihre Inhalte zugänglich machen können. Sie können sie in Rubriken sortieren und mit Tags versehen. Besucher haben die Möglichkeit, sich Artikelserien anzusehen und ältere Beiträge über Rubriken und Tags auch nach längerer Zeit noch problemlos zu finden. Die Inhalte Ihres Blogs können Sie über Ihre Social-Media-Kanäle teilen. Mehr zum Thema Bloggen finden Sie in Kapitel 6.

Profile auf sozialen Plattformen aufbauen

Bei der großen Aufmerksamkeit, die Facebook nach wie vor zukommt, ist eine Facebook-Seite sowie eine Präsenz auf Instagram und Twitter für Unternehmen fast Pflichtprogramm. Starten Sie auch einen Kanal bei YouTube (oder für eine junge Zielgruppe bei TikTok oder Twitch), um Videos hochzuladen. Selbst wenn Videoproduktion nicht Ihre Kernkompetenz ist, sollten Sie für Ihr Unternehmen zumindest schon einmal einen Benutzernamen reservieren.

Registrieren Sie Ihren Benutzernamen auf allen Social-Media-Sites, die Ihnen mit Blick auf Ihre Ziele und Ihre Zielgruppe sinnvoll erscheinen. Warten Sie nicht zu lange, sich mit Ihrem Unternehmens- oder Markennamen zu registrieren, auch wenn Sie dort erst zu einem späteren Zeitpunkt aktiv werden wollen. Auf diese Weise halten Sie sich alle Optionen offen. Sollte Ihnen jemand zuvorkommen, wird es mühsam, das Recht auf den Benutzernamen geltend zu machen. Meist kontaktieren betroffene Unternehmen zunächst den Betreiber der Seite, schalten im nächsten Schritt die Plattform ein und beauftragen schlimmstenfalls einen Anwalt, falls die ersten Schritte kein Ergebnis bringen. Sie müssen nicht auf allen Social-Media-Plattformen Teil der Community werden. YouTube, das zu LinkedIn gehörende Slideshare oder Flickr (SmugMug) werden Sie schätzen lernen, um Ihre Videos, Präsentationen und Fotos (potenziellen) Kunden zur Verfügung zu stellen. Über Twitter schaffen Sie Reichweite und erreichen Fachleute und Medienvertreter. Auf Facebook und Instagram treffen Sie die breite Masse Ihrer Kunden, und für das Employer Branding bieten sich Businessnetzwerke wie XING und LinkedIn an. Auf vielen Social-Media-Plattformen finden Sie einen Codeschnipsel, mit dem Sie und andere Nutzer den Inhalt eines Postings in Blogs und Websites einfügen können.

Definition

OAuth steht für Open Authorization und ist ein offenes Sicherheitsprotokoll für die Authentifizierung im Internet. OAuth ist tokenbasiert und ermöglicht die sichere Autorisierung von Webservices, ohne dass der Nutzer sein Passwort dem Drittanbieter gegenüber offenlegt. OAuth agiert dabei wie ein Vermittler aufseiten des Endanwenders.

Synergien nutzen

Fast jedes soziale Netzwerk können Sie heute über einen Facebook- oder Google-Account nutzen. Möglich macht dies das OAuth-Protokoll, eine Autorisierung für Nutzer, ohne sicherheitsrelevante Daten freizugeben. Dazu gibt der Nutzer beispielsweise seine Log-in-Daten von Facebook bei einer Onlineplattform ein, wird »hineingelassen« und kann sich meist einen gesonderten Nutzernamen anlegen. Langwierige Prozeduren der Registrierung entfallen. Bieten Sie eine Plattform an, für die man Zugangsdaten benötigt, sollten Sie erwägen, das OAuth-Anmeldeverfahren zu nutzen.

Den Umstand, dass Facebook immer mehr zu einem Web im Web wird, können Sie offensiv für sich nutzen, indem Sie auf Ihren Seiten Links oder Gefällt mir-Buttons einbauen. Außerdem können Sie Kommentare, die Sie auf Ihrem Blog erhalten haben, automatisch bei Facebook einbinden. Beachten Sie jedoch die Anforderungen und Regeln der DSGVO, mehr dazu in unserem umfangreichen Kapitel zu rechtlichen Fragen am Ende des Buchs.

Ihren Twitter-Stream können Sie wie Ihre Facebook-Meldungen auf Ihre Website streamen. Ermöglicht wird das durch eine Vielzahl zur Verfügung stehender Widgets.

Halten Sie sich Möglichkeiten offen: Beschränken Sie sich nicht auf eine einzige Community

Alles auf eine Karte zu setzen, ist niemals klug. Es mag zwar einfacher sein, Experte auf einem einzigen Portal zu werden, aber Sie sollten trotzdem versuchen, Ihre Aktivität auf mehrere soziale Medien auszuweiten. Sie machen sich und Ihre Social-Media-Aktivitäten ansonsten unnötig abhängig von der Funktionsfähigkeit und dem Fortbestand einer Plattform. Fehlen Ihnen Wissen und Arbeitskraft, holen Sie sich intern oder extern Verstärkung und verteilen die Aufgaben auf mehrere Schultern. Vielleicht ist einer Ihrer Mitarbeiter besonders versiert in Foto- und Videoproduktion, während ein anderer gut zu texten versteht. Unterschätzen Sie jedoch den Zeitaufwand nicht, gerade wenn Sie Aufgaben delegieren und dabei die Fäden in der Hand behalten.

Überlegen Sie auch, wie Sie Social Media innerhalb des Unternehmens einsetzen können. Vielleicht können Sie die Kommunikation in Projektgruppen oder Abteilungen mit einem Social Intranet, einer geheimen Gruppe bei Facebook oder mit einem geschlossenen sozialen Netzwerk wie Yammer (http://www.yammer.com) verbessern.

Kleine und mittelständische Unternehmen in Social Media

Für kleine oder nur lokal tätige Unternehmen bieten sich zahlreiche Werbemöglichkeiten in den sozialen Medien. Das Motto »Marketing ist Mitwirkung« gilt schließlich für Unternehmen aller Größenordnungen. So wurde in Deutschland beispielsweise ein Edeka-Supermarkt aus Bremen berühmt, weil sein Inhaber unter www.shopblogger.de über das Geschäft und seinen Alltag mit Kunden, Lieferanten und Produkten berichtet.

Doch auch lokal tätige Handwerksunternehmen profitieren von ihrem Auftritt in Social Media. Der Malermeister Volker Geyer aus Wiesbaden präsentiert seine »Malerischen Wohnideen«, sein Unternehmen und seine Mitarbeiter auf dem eigenen Blog13 und nutzt versiert Social Media wie Facebook, Instagram, Pinterest und Twitter. Mit scheinbarer Leichtigkeit twittert er mehrfach am Tag über seine Kunden und Projekte, gibt Tipps und führt fachliche Dialoge. Twitter hat er bereits 2010 für sich entdeckt, und sein Account (@SchoeneWaende) hat mittlerweile über 24.000 Follower. Auf Facebook verfolgen 37.000 Fans seine »Malerischen Wohnideen«, was für einen regional tätigen Handwerksbetrieb beeindruckend ist. Seine Fähigkeit, sich in Social Media zu präsentieren, führt dazu, dass er zum gefragten Speaker wurde. Er gibt mittlerweile regelmäßig in Vorträgen und Workshops sein Wissen an Kollegen im Handwerk weiter. Sein Beispiel zeigt klar, dass es wichtig ist, in die Community einzutauchen und mit ihr in einen regen Austausch zu treten. Trotz der großen Reichweite reagiert Geyer immer noch, wenn er angesprochen wird, und verteilt auf Twitter fleißig den bekannten Gruß »Follow Friday, kurz #ff«. Auch auf Instagram folgt er den Gepflogenheiten der Plattform und bedankt sich höflich für jeden positiven Kommentar.

Eine erfolgreiche Facebook-Präsenz hat das Bräustüberl Tegernsee (https://www.facebook.com/Braustuberl) vorzuweisen und nimmt auf Facebook auch Reservierungen entgegen. Zudem ist das Restaurant auf Instagram, Pinterest, YouTube und sogar mit speziellen Inhalten und Formaten für die junge Zielgruppe auf Snapchat aktiv. Lediglich das Profil in Twitter passte nicht mehr in die Social-Media-Marketing-Strategie des Bräustüberls und wurde eingestellt. Wie viele Restaurants, Cafés, aber auch Supermärkte und Einzelhandelsgeschäfte, informiert das Bräustüberl über neue Angebote, die Speisenkarte, lädt zu Veranstaltungen ein, verlost Gutscheine und veröffentlicht aktuelle Fotos. Sind auf den Bildern die eigenen Gerichte, passt der beliebte Hashtag #foodporn. Dann verbreitet sich das Bild der Schweinshaxe mit Knödeln schnell mal um die Welt, sodass Touristen aus dem Ausland die Gaststätte schon kennen, bevor sie das erste Mal an den Tegernsee reisen.

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Abbildung 4-9 Mehr als 110.000 Likes und ein reger Austausch: Beim Bräustüberl am Tegernsee funktioniert Social Media Marketing.

Natürlich gibt es weitere Möglichkeiten, die Gunst der Kunden zu erlangen: Ein Restaurant, das über seine Tagesgerichte und die Herkunft seiner Lebensmittel bloggt, kann sich gegenüber Wettbewerbern abheben. Auch wer technisch innovativ auftritt und mutig vorangeht, hebt sich von der Masse ab, wie Frau Zeisset mit ihrem MuseumsCafé, über das wir gleich sprechen werden.

Viele B2C-Unternehmen konzentrieren sich auf produktbezogene Inhalte. Natürlich steht der ROI im Mittelpunkt, da der Geschäftsführer in der Regel Umsatz für sein Engagement erwartet. Dennoch ist es schade, wenn für Produktwerbung viele andere Facetten und Chancen ungenutzt bleiben. Die meisten Unternehmen könnten spannende Geschichten erzählen. Die Größe des Unternehmens spielt dabei eine untergeordnete Rolle.

Leider tun sich kleine und mittlere Unternehmen mitunter mit Social Media schwer. Sie wollen ihre Marke, ihre Produkte und Dienstleistungen vermarkten, bekannter werden, neue Kunden gewinnen und Kundenbeziehungen optimieren. Dabei legen sie häufig noch zu wenig Augenmerk auf den Aufbau der Onlinecommunitys und die quantitative und qualitative Auswertung mit geeigneten Werkzeugen zur Messung und Optimierung des Contents.

Praxisbeispiel: Das MuseumsCafé & Hofladen Zeisset

Die Erfolgsstory eines KMU liefert Jutta Zeisset: Für das MuseumsCafé & Hofladen Zeisset, einem ländlich gelegenen Familienunternehmen, begann sie 2009 mit Aktivitäten in den sozialen Medien. Mittlerweile hat sie 30 Mitarbeiter, und ihr Geschäft floriert, trotz der abgelegenen Lage. Sie hat sich nie auf ihren Erfolgen in Social Media ausgeruht, sondern sich ständig weiterentwickelt, dabei probiert sie kontinuierlich neue Plattformen und Tools aus. Mittlerweile berät sie kleine und mittelständische Unternehmen in Sachen Social Media, besonders im landwirtschaftlichen Bereich. Wir haben mit Jutta Zeisset über ihre Entwicklung in Social Media gesprochen.

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Abbildung 4-10 Jutta Zeisset vom MuseumsCafé & Hofladen Zeisset (Foto: Anna Huber Fotografie)

Interview

»Aktiv, experimentell, nicht auf Bewährtem ausruhen«

Ein Interview mit Jutta Zeisset, MuseumsCafé & Hofladen Zeisset

Frau Zeisset, wie erfolgte 2009 Ihr Einstieg in Social Media, um Ihren Hofladen und das Museumscafé bekannter zu machen? Haben Sie sich zunächst auf einen Kanal fokussiert, oder sind Sie breiter eingestiegen? Auf welchen Kanälen sind Sie heute (noch) vertreten? Welche Plattform ist Ihnen die liebste oder erfolgreichste?

Jutta Zeisset: Mein Einstieg war unbeschwert und experimentell, ich habe einfach gemacht, ausprobiert – geschaut, was gut läuft, und das, was nicht so gut gelaufen ist, gelassen. 2009 waren Facebook und Twitter die stärksten Plattformen. Nach und nach kamen Plattformen und verschwanden auch wieder, wie zuletzt Google+, das schon lange nicht mehr in unserem Fokus war. Instagram, Snapchat, Pinterest, Instagram TV (IGTV), YouTube, alle diese Plattformen haben ihre Berechtigung und werden von mir je nach Nachfrage gepflegt. Im Moment steht Instagram im Vordergrund und seit 2018 auch IGTV. Mal sehen, was noch Schönes kommt in Zukunft. Es bleibt spannend.

Haben Sie für Ihr Unternehmen ein Blog, und, falls nein, warum haben Sie sich dagegen entschieden?

Jutta Zeisset: Wir haben kein klassisches Blog für das Unternehmen MuseumsCafé & Hofladen Zeisset. Meiner Meinung nach muss man zum Bloggen Lust auf Schreiben haben. Dies war bei mir persönlich nie so ausgeprägt. Daher gab es nie ein Blog, was ich eigentlich schade finde.

Welchen Einfluss hatten und haben Ihre Social-Media-Angebote auf die Entwicklung Ihres Unternehmens? Können Sie über Ihr Social Media Monitoring erkennen, wie sich Ihr Social-Media-Engagement auf den Umsatz auswirkt?

Jutta Zeisset: Wir haben mit unseren Aktivitäten ganz klar eine Umsatzsteigerung erzielt. Festmachen kann man das an unserem Frühstücksbuffet, das jeden Sonntag ausgebucht ist, seit wir es auf Facebook aktiv bewerben.

Mittlerweile beschäftigen Sie eine größere Zahl von Mitarbeitern. Wie verteilen Sie die Aufgaben der Kanalbetreuung und des Community-Managements? Tragen alle Mitarbeiter etwas bei, oder spezialisieren sich einige wenige darauf?

Jutta Zeisset: Die Kanalbetreuung für die Seite MuseumsCafé & Hofladen Zeisset übernehme ausschließlich ich. Meine Mitarbeiter sind gedanklich auch dabei und freuen sich, wenn ihr Produkt auf Facebook, Instagram & Co. erscheint.

Sie sind digitalen Innovationen gegenüber aufgeschlossen und bieten zum Beispiel seit 2018 einen #Alexa Skill. Ihre Kunden können nun den digitalen Sprachassistenten fragen, welche Kuchensorten es heute gibt, und gleich einen Tisch reservieren. Wie wird dieses Angebot angenommen, und können Sie etwas über die Nutzergruppen sagen?

Jutta Zeisset: Unser Skill ist noch sehr frisch, und es ist für mich ein wichtiges Signal, zu zeigen, dass wir Antworten geben und nicht Fragen stellen. Wir wollen Vorreiter in Sachen Digitalisierung sein, da musste selbstverständlich auch ein Alexa Skill erstellt werden. Der Google Assistant ist im Moment in Bearbeitung. Es geht immer weiter, und wir dürfen uns nicht auf Bewährtem ausruhen.

In Deutschland sind WhatsApp und Facebook Messenger beim Messenger-Marketing vorne dabei. Haben Sie das Messenger-Marketing in Ihren Marketing-Mix integriert? Wollen Unternehmen Touristen aus dem asiatischen Raum erreichen, die in Deutschland Urlaub machen, sind sie mitunter in WeChat vertreten. Haben Sie hierzu bereits Erfahrungen gesammelt?

Jutta Zeisset: Wir agieren sehr aktiv über Messenger aller Art – unsere Kunden können darüber ihren Tisch reservieren oder uns Anfragen senden. Wir müssen es unseren Kunden einfach machen, uns zu erreichen. Da ist ein Mix sehr wichtig. WeChat haben wir bisher nicht gemacht – sollten wir mal ausprobieren. ;-)

Sie sind mittlerweile als Beraterin für andere KMUs im ländlichen Raum tätig. Auf welche Vorurteile gegenüber der Social-Media-Nutzung stoßen Sie noch, und wie gelingt es Ihnen, diese nachhaltig zu entkräften?

Jutta Zeisset: »Social Media ist ein Zeitfresser«, »Man bekommt schnell einen Shitstorm« – diese Aussagen begegnen mir am häufigsten. Durch aktives miteinander Arbeiten und ganz praktische Geschichten aus meinem Leben kann ich die Leute beruhigen und für das Thema begeistern.

Liebe Frau Zeisset, wir danken für das Gespräch und wünschen Ihnen und Ihrem Unternehmen weiter viel Erfolg.

Jutta Zeisset: Danke schön für das Interview und allen Lesern viel Spaß beim Ausprobieren.

Influencer-Marketing

Influencer-Marketing ist in aller Munde und für viele Unternehmen bereits fester Bestandteil der Marketingbudgets. Dabei zählen Instagram und YouTube zu den wichtigsten Plattformen für Kampagnen und Kooperationen mit Influencern, gefolgt von Facebook und Blogs.14 Meist denken wir dabei an klassisches B2C, aber auch für B2B bieten sich Influencer Relations an. In beiden Fällen sollten Sie nicht in einmaligen Kampagnen denken, sondern eine langfristige Beziehung aufbauen und pflegen.

Bitkom Research befragte in seiner 2018er-Studie »Social Media & Social Messaging«15 die Follower von Influencern in Social Media nach den wichtigsten Themen, zu denen diese Influencern folgen. Als Top-3-Themen stellten sich heraus: Fitness & Sport, Mode sowie Ernährung & Gesundheit, den letzten Platz belegte Kunst & Kultur.

Definition

Ein Influencer ist ein digitaler Meinungsführer. Die Bandbreite erstreckt sich von den Anführern der »Instagram Rich«-Liste, die Hunderttausende von US-Dollars für ein Posting verlangen können, bis zu Mikro-Influencern und Markenfans, die für kleines Geld oder sogar nur für kostenfreie Produkte Empfehlungen aussprechen. Wichtige Kenngrößen bei der Auswahl von Influencern sind deren Reichweite und die Engagementrate ihrer Fans – mindestens genauso wichtig ist jedoch, dass Marke und Influencer gut zusammenpassen.

Influencer besitzen bezüglich ihres Themas Kompetenz, haben eine hohe Reichweite und kommunizieren intensiv über die von ihnen bevorzugten Social-Media-Kanäle. Auch wenn Influencer-Marketing derzeit im Trend liegt, ist das Konzept als solches nicht neu. Schon immer wurde in der Werbung mit Testimonials gearbeitet und deren Bekanntheit als Schauspieler, Sänger oder Sportler für die Produktwerbung genutzt. Ein wesentlicher Unterschied zu heute besteht darin, dass der digitale Meinungsführer und Markenbotschafter nicht zwangsläufig bereits eine Karriere hatte, wenn er Influencer wird. Umgekehrt passiert es inzwischen jedoch regelmäßig, dass bekannte Influencer kleine Filmrollen, Jobs als Moderatoren oder die Möglichkeit erhalten, Musik zu veröffentlichen. Früher bekamen die Stars in der Werbung einen Spruch vorgegeben, den sie brav im Fernsehen aufsagten. Influencer hingegen legen Wert darauf, ihren eigenen Content zu kreieren, und mögen keine zu engen Vorgaben. Als Unternehmen sollten Sie einem erfahrenen und professionellen Influencer daher vertrauen. Sie oder er kennt die eigenen Fans am besten und kann gut einschätzen, was funktioniert und ankommt.

Definition

Wir unterscheiden drei Gruppen von Influencern: Makro-Influencer oder einfach nur Influencer zeichnen sich durch eine große Reichweite und einen hohen Bekanntheitsgrad aus, gleichzeitig ist die Engagementrate ihrer Fans eher niedrig. Mikro-Influencer haben weniger Fans, doch sind diese häufig engagierter und interessieren sich sehr für das Nischenthema. Als Markenfans beschreiben wir Menschen, die eine Marke so genial finden, dass sie diese intrinsisch motiviert regelmäßig in Social Media erwähnen, auch wenn sie dafür maximal ein Produkt kostenfrei testen dürfen.

Insbesondere die jüngere Zielgruppe lässt sich hervorragend über Influencer erreichen, die sie als glaubwürdig und sympathisch wahrnehmen. Der Clou besteht darin, dass Influencer die Produkte und Marken in ihre Sprache und damit die Sprache ihrer Anhänger übersetzen. Sie fungieren als Botschafter zwischen ihren Fans und den Unternehmen. Instagram ist für die meisten Influencer die beliebteste Plattform, dicht gefolgt von YouTube und Facebook.

Auch interne Influencer (Corporate Influencer) werden für Unternehmen immer interessanter, denn sie wirken nach außen und nach innen. Dazu gehören Social CEOs wie der bereits erwähnte Siemens-Chef Joe Kaeser, aber auch Mitarbeiter in unterschiedlichen Funktionen. Ganz normale Mitarbeiter können hervorragend als Influencer und Markenbotschafter fungieren und das Employer Branding unterstützen. Der Trend, dass sich ein Unternehmen über seine Mitarbeitenden (inklusive Geschäftsführung) positioniert, wird auch Employee Advocacy genannt. Siemens erklärt, dass bei ihnen die Rechnung aufgeht, da die Engagementrate der Corporate Influencer jene des Konzerns deutlich übersteigt.16 Das unterstreicht, wie wichtig es für Unternehmen im Zeitalter von Social Media ist, ein menschliches Gesicht zu zeigen. Die einzige Gefahr besteht darin, dass es dem Unternehmen geht wie Opel. Im Fall von Karl-Thomas Neumann gingen dem Autobauer durch den Weggang des CEO zahlreiche Twitter-Follower verloren. Zudem gilt es zu beobachten, ob die in Social Media aktiven Mitarbeiter sich mit den Richtlinien der Plattformen sowie rechtlichen Rahmenbedingungen auskennen.

Wer – wie Siemens – seine Mitarbeitenden in Social Media für sich sprechen lässt, braucht ein internes Regelwerk. Dazu dienen Social Media Guidelines oder eine Social Media Policy, die es in jedem Unternehmen geben sollte. Zu den Guidelines finden sich einige Beispiele im Netz, aber bedenken Sie, dass ein solches Regelwerk individuell auf Ihr Unternehmen zugeschnitten werden muss. Lassen Sie sich folglich inspirieren, aber bitte schreiben Sie nicht ab. Die Tonalität sollte freundlich sein und die Mitarbeitenden zu einem Engagement im Netz ermuntern. Gleichzeitig muss jedoch deutlich formuliert werden, welche Gefahren bestehen und welche Grenzen die Mitarbeitenden nicht überschreiten dürfen. Ein wichtiges Gebot ist dabei Authentizität und Transparenz, sodass jederzeit erkennbar ist, ob sich ein Mitarbeiter als Privatperson äußert oder in der Funktion, die er im Unternehmen ausübt. Des Weiteren dürfen keine Firmeninterna ausgeplaudert oder Fotos sicherheitsrelevanter Einrichtungen veröffentlicht werden. Für Zweifelsfragen sollte es einen gut erreichbaren Ansprechpartner in der Kommunikation geben.

Wichtig ist zudem, dass kein Mitarbeiter zu seinem Glück gezwungen wird. Es ist nicht jedermanns Sache, sich im Netz zu äußern und zu präsentieren. Die Verkehrsgesellschaft Frankfurt VGF hat Glück: Sie verfügt mit dem »Bahnbabo« über einen außergewöhnlichen Corporate Influencer. Peter Wirth übt nicht nur seine Arbeit als Straßenbahnfahrer mit Herzblut aus, sondern versucht auch stets, junge Leute für den Ausbildungsberuf zu begeistern. Dabei schreckt er vor sportlichen Einlagen wie einem beeindruckenden Spagat nicht zurück, die sich auf Instagram und weiteren Plattformen wiederfinden.17

Microsoft und OTTO haben Prozesse entwickelt, um Mitarbeiter zu Corporate Influencern und Markenbotschaftern zu machen. Diese posten dabei über ihre privaten Social-Media-Kanäle Beiträge über ihren Arbeitgeber und seine Produkte. Neben dem unmittelbaren positiven Effekt auf die Marke wird das Employer Branding ebenfalls verbessert.

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Abbildung 4-11 Der Bahnbabo übt den Beruf des Straßenbahnfahrers mit großer Leidenschaft aus.

The Perfect Fit: die Auswahl passender Influencer

Achten Sie darauf, dass die Influencer zu Ihrer Marke passen, dass sie authentisch sind und glaubwürdig. Springen Influencer zwischen Themen und Unternehmen hin und her, büßen sie Glaubwürdigkeit ein. Sie folgen scheinbar dem höchsten Gebot und suchen weniger nach Produkten, mit denen sie sich identifizieren können. Influencer sollten idealerweise über eine einheitliche Bildsprache verfügen, die sie wiedererkennbar macht und von der Masse abhebt. Lassen Sie sich nicht allein von deren Reichweite blenden, unterscheiden Sie zudem zwischen absoluter und relativer Reichweite. Die absolute Reichweite wächst mit der Zahl an Fans und Followern, wohingegen die relative Reichweite mit dem Wachstum des Kanals in der Regel sinkt. Zudem lassen sich bekanntermaßen für kleines Geld Fans kaufen, oder die Fans folgen einem Influencer nur seiner Prominenz wegen. An seinen Inhalten oder den beworbenen Produkten sind sie nicht zwangsläufig interessiert, was zu einem geringeren Engagement seitens der Fans führen kann. Nicht allein die Zahl der Fans bestimmt beispielsweise auf Instagram die Sichtbarkeit der Posts. Wer auf der Plattform einem Hashtag folgt oder nach einem bestimmten Hashtag sucht, stößt auch auf Beiträge von Instagramern, denen er nicht folgt.

Vertrauen, Glaubwürdigkeit, Relevanz und Interaktion sind bei der Beurteilung eines Influencers ebenso wichtige Faktoren wie die Reichweite. Besetzt der Influencer die richtige Nische und weist eine spitze Zielgruppe auf, spielt die Qualität seiner Fans eine größere Rolle als die schiere Anzahl. Zu den wichtigen Kennzahlen zählt die Engagementrate, die bei Mikro-Influencern meist höher ist als bei berühmten Makro-Influencern.

Definition

Mit Engagementrate ist das Verhältnis der Interaktionen in Form von Likes, Teilen und Kommentaren im Verhältnis zur Anzahl der Follower und Fans gemeint. Ein Beispiel:

  • Kanal A hat 1.000 Fans: Reagieren auf einen Post von ihm 100 seiner Fans mit Likes und Kommentaren, beläuft sich seine Engagementrate auf 100/1000 = 10 Prozent.
  • Kanal B hat 100.000 Fans: Reagieren auf einen Post von ihm davon 1.000 mit Likes und Kommentaren, beläuft sich seine Engagementrate auf 1000/100000 = 1 Prozent.

Mitunter wird der Fokus auf die Engagementrate kritisiert, und als sinnvoller wird erachtet, die Zahl der Interaktionen ins Verhältnis zu den Impressionen zu setzen. Schließlich kann ein Instagram-Nutzer nur auf jene Posts reagieren, die für ihn sichtbar sind. Wird angenommen, dass sich alle Fans für die Themen interessieren, sind 1.000 Likes natürlich besser als 100.

Micro-Influencer gelten durch ihr starkes Interesse an bestimmten Themen und Inhalten als glaubwürdiger und authentischer. Daher geht der Trend mehr in die Richtung, dass Unternehmen mit passenden Micro-Influencern kooperieren. Diese haben eine spitze Zielgruppe und fordern bezahlbare Honorare. Von Nachteil ist, dass die Unternehmen stärker auf deren Professionalität achten müssen. Produzieren sie regelmäßig und verlässlich relevanten Content? Sind sie stets auf dem neuesten Stand zu rechtlichen Fragen, SEO und den Richtlinien der Plattformen? Die manuelle Betreuung von Micro-Influencern wird durch automatisierte Social-Media-Tools erleichtert. Für eine effektive und erfolgreiche Kampagne managen sie Hunderte Mikro-Influencer und Markenfans. Um den persönlichen Kontakt nicht zu vernachlässigen, bieten sich ergänzend Community-Events und Get-together an.

Wie gehen Sie am besten vor, wenn Sie mit einem Influencer zusammenarbeiten wollen? Haben Sie ausreichend Budget, können Sie eine Agentur oder ein Vermarktungsnetzwerk wie »TubeOneNetworks« oder »Studio 71« beauftragen, um den für Sie passenden Influencer zu identifizieren. Mittlerweile haben sich einige Dienstleister auf diese Vermittlung spezialisiert. Lassen Sie sich von der Agentur eine engere Wahl präsentieren, aber treffen Sie die Entscheidung unbedingt selbst. Auch einige Onlineplattformen, manche sogar kostenfrei, unterstützen bei der Auswahl. Talkwalker bietet zum Beispiel die Influencer-Marketing-Plattform »Influencer One«(https://www.talkwalker.com/influencer-one) an, auf der Unternehmen passende Influencer finden, monitoren und bewerten können.

Was sollten Sie im Hinblick auf einen Influencer prüfen?

  • Wie oft und wie verlässlich produziert sie oder er Content?
  • Wie relevant sind die Inhalte?
  • Passen Stil und Qualität seiner Inhalte zu Ihrer Marke, Ihren Produkten und Dienstleistungen?
  • Wie authentisch ist der Influencer? Ist er eine Marke und sein Stil unverwechselbar – oder sind seine Posts beliebig und austauschbar?
  • Wie sehr interessiert er sich für sein Hauptthema, und wie gut kennt er sich darin aus?
  • Ist der Influencer mit rechtlichen Rahmenbedingungen, Anforderungen der Suchmaschinen und ähnlichen Themen vertraut?

Mit Influencern arbeiten

Geht es um die direkte Ansprache des Influencers, sollten Sie sich Mühe geben, auf Augenhöhe zu kommunizieren und ihn nicht mit Textbausteinen zu bombardieren. Bedenken Sie, dass bekannte Influencer nahezu täglich Kooperationsanfragen erhalten. Sie müssen sich also von der Masse abheben und die Aufmerksamkeit des Influencers gewinnen. Zeigen Sie Interesse für seine Arbeit und unterstreichen Sie, dass Sie sich mit seinen Beiträgen bereits beschäftigt haben. Klären Sie transparent die Rahmenbedingungen, bevor Sie in eine Zusammenarbeit einsteigen. Sagen Sie Ihrem zukünftigen Kooperationspartner:

  • wie viele Postings Sie von ihm erwarten,
  • in welchem Zeitraum und
  • auf welchen Kanälen.

Legen Sie gleichzeitig offen, welche exklusiven Inhalte Sie ihm dafür bieten, und schlagen Sie ein faires und sachgerechtes Honorar vor.

Für bestimmte Branchen und Marken kann es sinnvoll sein, auf genau einen reichweitenstarken Influencer zu setzen und mit diesem exklusiv zusammenzuarbeiten. Mitunter bietet es sich aber auch an, nicht nur einen Influencer zu engagieren, sondern mit mehreren zu kooperieren. Abhängig von Ihrem Thema kommen dafür meist eher mittelgroße (Mikro-)Influencer infrage.

Manche Marken setzen darauf, mit einer großen Zahl an weniger reichweitenstarken Mikro-Influencern oder Markenfans zusammenzuarbeiten. Sie erhalten kein Honorar, sondern bekommen lediglich die Produkte kostenfrei zur Verfügung gestellt. Diese Strategie hat zwei Vorteile: Zum einen ist ein hohes Engagement seitens der Influencer zu erwarten, da diese wachsen wollen. Zum anderen sind sie besonders authentisch, da sie ohne Honorar nur Produkte auswählen, die zu ihnen passen und sie wirklich interessieren. Die Gefahr bei diesem Arrangement ist natürlich, dass dem Influencer das Produkt nicht gefällt und er seine kritische Meinung öffentlich kommuniziert. Ohne Bezahlung hat das Unternehmen auch keine Handhabe, Art und Inhalt des Contents zu beeinflussen.

Sollte ein Influencer konstruktive und berechtigte Kritik äußern, gehen Sie professionell und wertschätzend damit um. Gelingt es Ihnen, sachlich und zugleich emphatisch die Kritik anzunehmen und Nachbesserung in Aussicht zu stellen, können Sie aus einem Kritiker einen Fan machen. Ist derjenige bereit, sich auf einen zweiten Test des verbesserten Produkts einzulassen, und lobt es nun, generieren Sie weitere authentische Aufmerksamkeit und zeigen der Community, dass Sie zuhören und kritikfähig sind.

Influencer-Kampagnen in der Praxis

Influencer-Kampagnen für Love Brands sind anspruchsvoll, stellen aber eine durchaus lösbare Aufgabe dar. Knifflig wird es dann, wenn das Thema trocken oder ungeliebt ist. Dass auch in solchen Fällen eine Zusammenarbeit mit Influencern gut funktionieren kann, zeigt das Beispiel der Teambank mit ihrem Produkt easy credit. Im Rahmen der Initiative »Finanzielle Bildung fördern« engagierte die Teambank Alexander Giesecke und Nicolai Schork vom YouTube-Kanal »TheSimpleClub«. Bei TheSimpleClub handelt es sich nach eigenen Angaben um die coolste Lernplattform Deutschlands, die auf YouTube 180.000 Fans abonniert haben. Auch auf Instagram, Facebook und Twitter sind die erfolgreichen Jungstars vertreten. Wenn sie in verschiedenen Videos darüber berichten, wie sie ihr Geld verwalten, hören junge Leute eher zu, als wenn der würdige Bankdirektor in Anzug und Krawatte auftritt.18

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Abbildung 4-12 Die Kampagne »Finanzielle Bildung fördern« mit den Influencern von TheSimpleClub

Warum es so wichtig ist, sich beim Influencer-Marketing Gedanken über Ziele und Zielgruppen zu machen und Influencer anzusprechen, die gut zur Marke passen, zeigt das Beispiel Coral. Prinzipiell ist jeder Mensch Nutzer von Waschmitteln, aber wie glaubwürdig ist die Zuneigung zu diesem Alltagsprodukt, das recht weit von einer Love Brand entfernt ist?

Die Instagram-Aktion #coralliebtdeinekleidung kam ausgesprochen schlecht an und wurde als wenig glaubwürdig kritisiert. Über prominente Instagramer, die sich mit der Waschmittelflasche sogar im Bett ablichten ließen, spotteten viele Nutzer. Auf das vermeintliche Desaster angesprochen, zeigte sich Unilever jedoch über die kreative Umsetzung und die große Reichweite erfreut.19

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Abbildung 4-13 Screenshot der beliebtesten Beiträge zur Instagram-Aktion #coralliebtdeinekleidung

Unter den über 150 Beiträgen finden sich Trittbrettfahrer, die sich an eine solche Aktion anhängen, um von der Aufmerksamkeit zu profitieren. Auf ihren Fotos zeigen sie daher nicht unbedingt Coral-Flaschen, wie das mittlere Bild in der zweiten Reihe von Abbildung 4-13 zeigt. Dort sagt die Instagramerin @ra_mona_mitou kritisch, offen und direkt, was sie von der Kampagne hält. Dafür bekam sie 262 Likes bei damals gerade einmal 200 Fans und löste eine lebhafte Diskussion aus. Trotz der geringen Zahl an Fans wurde ihr Beitrag über den Hashtag der Kampagne leicht gefunden.

Selbst wenn Sie derzeit noch kein Interesse haben, mit Influencern zusammenzuarbeiten, sollten Sie diese dennoch im Blick haben. Influencer äußern sich in sozialen Medien schließlich nicht nur zu Produkten, die ihnen Unternehmen im Rahmen einer Kooperation anbieten. Scannen Sie das Netz, um herauszufinden, welche einflussreichen Meinungsführer Ihre Produkte verwenden, Ihre Marke empfehlen oder schlimmstenfalls Ihr Unternehmen kritisieren. Treten Sie in den Dialog mit den Influencern, bieten Sie Informationen zu Ihren Produkten an und laden Sie sie eventuell sogar zu einem Blick hinter Ihre Kulissen ein. Aus einem Kritiker einen Fürsprecher zu machen oder einen Fan zu noch mehr Enthusiasmus zu verlocken – und zwar öffentlich –, sollte die Anstrengung wert sein.

Achten Sie dabei nicht nur darauf, ob sich Influencer konkret zu Ihren Produkten äußern, sondern auch, ob sie Themen Ihrer Branche aufgreifen. Damit kommen sie künftig als Kooperationspartner infrage, und Sie können mit ihnen öffentlich über Ihre Themen diskutieren.

Warum ein Influencer nicht zwingend aus Fleisch und Blut sein muss, zeigt das Beispiel des Instagram-Accounts @lilmiquela in Kapitel 13.

Reputationsmanagement

Die Messung der Onlinereputation erfasst, was Kunden und Fans über Ihr Unternehmen, Ihre Marke und Ihre Botschaften denken. Werden Ihre Marke oder Ihre Produkte mit einer positiven oder negativen Tonalität erwähnt? Die Aufgabe des Onlinereputationsmanagements besteht darin, das Ansehen von Unternehmen und Marke fortlaufend zu überwachen. Dabei sollten Sie negative Äußerungen idealerweise verhindern oder mindestens mit durchdachten Antworten und Aktionen das passende Feedback geben. Damit können Sie Probleme im Keim ersticken, bevor sie geschäftsschädigend werden.

Vielleicht haben Sie lange eine Marke aufgebaut und beschäftigen nun Tausende von Mitarbeitern. Doch der gute Ruf ist eine empfindliche Sache. Binnen weniger Momente kann das, was Sie mit Ihrer harten Arbeit aufgebaut haben, Schaden nehmen, wenn ein Kunde oder Wettbewerber das Internet nutzt, um Ihren guten Namen in den Schmutz zu ziehen. Angesichts der Art und Weise, wie sich Inhalte im Internet verbreiten, kann eine einzige üble Geschichte rasch zum Flächenbrand werden. Unternehmen, die darauf nicht reagieren, riskieren einen beträchtlichen Vertrauensverlust und können sogar Marktanteile einbüßen.

Soziale Medien sind aber nicht nur ein Risiko, sondern vor allem ein kostengünstiger und empfehlenswerter Weg, um Reputationsmanagement-Fiaskos zu bekämpfen. Dazu gibt es mehrere Möglichkeiten, die wir uns im weiteren Verlauf anschauen.

Electronic Arts wandelte einen Schnitzer in eine großartige Marketinginitiative um, die sich als ungemein wirkungsstark erwies. Ein Nutzer entdeckte einen Programmfehler, der zeigte, dass jemand über Wasser laufen kann, und lud bei YouTube ein entsprechendes Video hoch. Anstatt das Video zu ignorieren, erklärte Electronic Arts, dass der Programmfehler in Wirklichkeit gar keiner gewesen sei. In einem Antwortvideo lief der Golfspieler Tiger Woods scheinbar über Wasser. Mit mehr als zwei Millionen Betrachtern und positiven Reaktionen auf das Video ging das Unternehmen als klarer Sieger aus einer Situation hervor, die sich leicht zu einem PR-Albtraum hätte auswachsen können.

Der Einfluss von Social Media auf Suchmaschinenergebnisse

In der Fallstudie zu Café und Hofladen von Jutta Zeisset haben wir die Möglichkeit erwähnt, dass soziale Medien beim Onlinereputationsmanagement helfen können: durch die Existenz mehrerer Profile. Jutta Zeisset pflegt neben Twitter noch einen YouTube-Kanal, eine Facebook-Seite, Instagram, Snapchat und Pinterest. Dank dieses Engagements und der Vernetzung fördert die Google-Suche nach »Museumscafe Zeisset« nicht nur die Homepage zutage, sondern auch Facebook und YouTube sowie Bewertungen und Berichte von anderen über das Café.

Dieses Beispiel zeigt, wie stark Social Media Marketing das Reputationsmanagement unterstützen kann. Ein Unternehmen, das mit seinen Suchmaschinenergebnissen nicht zufrieden ist, kann eine Reihe von Social-Media-Profilen einrichten. Mit regelmäßigem Engagement können Social-Media-Profile dazu beitragen, die Suchmaschinenergebnisse positiv zu beeinflussen. Diese Strategie funktioniert, weil die meisten sozialen Netzwerke durch ihre starke Nutzung als vertrauenswürdig gelten und von anderen Websites und Newssites verlinkt werden.

Der Screenshot der Suchergebnisse nach dem Schlüsselwort »Café Zeisset« in Abbildung 4-14 zeigt, dass nutzergenerierter Content ein hohes Ranking bekommt. Seit Google seine universelle Suche eingeführt hat, ist offensichtlich, dass Beiträge aus Social Media auch in die Gruppe der am besten sichtbaren Links auf der Ergebnisseite der Suchmaschine aufrücken.

Definition

Die 2007 von Google eingeführte universelle Suche schließt Videos, Bilder, Bücher, Geschäftsdaten, Landkarten, Produkte und Nachrichten mit in die Suchergebnisseiten ein. Seit 2018 sind die Bilder in Featured Snippets nicht mehr direkt mit der Quellenwebseite verlinkt, sondern mit der Google-Bildersuche, sodass die Nutzer zweimal klicken müssen.20

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Abbildung 4-14 Suchergebnisse in Google für das Café Zeisset

Bei fast jeder Internetrecherche treten auch Ergebnisse aus Social Media zutage. Im Reputationsmanagement eignen sich soziale Medien gut zur Bekämpfung negativer Suchergebnisse. Da Sie in den meisten sozialen Netzwerken Ihren eigenen Benutzernamen wählen können, ist es möglich, die verfügbaren Benutzernamen für Ihre Marke oder Ihr Unternehmen zu reservieren. Wenn diese Social-Media-Profile erst im Suchmaschinenranking auftauchen, können sie Ihnen dabei helfen, Ihren Ruf im Internet zu pflegen. Aktive und reichweitenstarke Social-Media-Profile ranken bei den Suchmaschinen weit oben und rücken Negativkommentare eher in den Hintergrund. Im besten Fall erscheinen diese nicht mehr auf der ersten Seite der Suchergebnisse. Auf Websites wie http://namechk.com oder http://knowem.com erkennen Sie, auf welchen Websites Sie Ihren Markennamen registrieren sollten, um Ihren Ruf im Internet zu pflegen. Wie Sie in Abbildung 4-15 sehen, können Sie über diese Websites herausfinden, welche Benutzernamen auf Social Sites noch zu haben sind. Besetzen Sie mindestens die relevantesten und reichweitenstärksten Seiten.

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Abbildung 4-15 Reservieren Sie bei knowem Ihren Namen für Social-Media-Portale, selbst wenn Sie (noch) nicht auf allen Kanälen aktiv sein wollen.

Stellen Sie die Social-Media-Profile öffentlich, müssen Sie darauf achten, den Communitys regelmäßig etwas Wertvolles zu bieten. Das wird Ihr Ranking verbessern und es anderen schwer machen, Ihren guten Ruf zu gefährden. Ein hohes Ranking erreichen Sie nicht durch bloßes Erstellen von Social-Media-Profilen, Sie müssen sich auch engagieren. Je mehr Content Sie in Social Media veröffentlichen, desto wahrscheinlicher ist es, dass Sie von den Suchmaschinen bemerkt werden und oben in den Suchergebnislisten erscheinen. Ein zusätzlicher Vorteil ist folgender: Werden Sie von den Mitgliedern Ihrer Communitys bemerkt, setzen aktive Teilnehmer Links auf Ihr Social-Media-Profil, auch Blogger und Journalisten. Das kann dazu führen, dass Suchabfragen ein Twitter- oder Instagram-Profil weiter oben anzeigen als ein Blog.

Social-Media-Kanäle und Blogs bieten jedermann die Möglichkeit, problematische und zu kritisierende Ereignisse zu kommentieren sowie ihre Meinung bekannt zu geben. Unternehmen sollten in solchen Situationen in erster Linie zuhören und die Äußerungen ernst nehmen. Dazu gehört auch, sich der Kritik an den Orten zu stellen, an denen sie geäußert wird: in Social Media, Blogs und Foren.

Reputation Management Monitoring: zwölf Dinge, die Sie beobachten sollten

Auf welche Aspekte sollten Sie und Ihr Unternehmen achten, um Ihren Ruf im Internet zu beobachten? Dazu bieten sich die nachfolgend genannten zwölf Reputationsfaktoren an, die der Experte für Onlinereputationsmanagement, Andy Beal, vorschlug.

Welche Maßnahmen Sie bei Ereignissen treffen, die Ihrer Reputation schaden (können), hängt von den jeweiligen Umständen ab. Indem Sie diese Faktoren aber aktiv beobachten, können Sie im Vorfeld Probleme vermeiden, die sonst schädlich werden könnten. Darüber hinaus können auch die Informationen lohnend sein, die Sie bei Ihren Beobachtungen entdecken.

Ihr Name

Sie sollten immer wissen, was die Leute in Social Media über Sie reden, egal ob Sie ein großer oder kleiner Player sind. Zudem können Sie auf Ihrer Website Links zu den positiven Erwähnungen einrichten, damit Ihre Besucher darauf aufmerksam werden, was Positives über Sie und Ihre Produkte gesagt wird.

Ihr Firmenname

Es ist sehr wichtig, zu hören, was die Leute über Sie und Ihr Unternehmen sagen. Forschen Sie auch nach etwaigen früheren Namen Ihres Unternehmens oder bekannten Abkürzungen Ihres Unternehmensnamens.

Ihre Markennamen

Wenn Sie zu einem großen Unternehmen gehören, das Hunderte von Marken besitzt, sind diese vielleicht recht schwierig zu beobachten, aber die wichtigsten Marken sollten Sie im Blick behalten.

Die Führungskräfte Ihres Unternehmens

Seien Sie immer darüber im Bilde, was die Nutzer über die Geschäftsleitung Ihres Unternehmens sagen.

Die Kommunikationsprofis in Ihrem Unternehmen

Jeder, der sich regelmäßig im Namen Ihres Unternehmens äußert, muss ebenfalls beobachtet werden. Da eine One-Voice-Policy in Zeiten von Social Media kaum noch funktioniert, sollten Sie genau überlegen, auf welche Mitarbeitenden Sie den Kreis erweitern.

Ihr Claim und Ihre Slogans

Was sagen die Leute über Ihren Claim? Wird die Botschaft gut aufgenommen? Wird er kopiert oder gar persifliert?

Der Wettbewerb

Was wird über die Konkurrenz geredet? Können Sie diese Informationen nutzen, um Ihr Unternehmen zu verbessern? Reputationsmanagement kann auch bei der Recherche und Analyse des Wettbewerbs helfen.

Ihre Branche

Beobachten Sie Branchentrends und nutzen Sie diese Informationen zu Ihrem Vorteil. Vielleicht ärgern sich Kunden, dass ihr neuer Schreibtisch unpraktisch ist und eine wackelige Schublade hat. Möglicherweise hat das Tablet, das viele Geschäftsleute vergangene Woche geliefert bekamen, Probleme mit dem Lesen externer Speichermodule. Können Sie aus diesem Feedback etwas lernen und die Fehler beheben, um ein besseres Produkt zu entwickeln? Können Sie diese Lernerfahrungen zu Ihrem Vorteil nutzen? Beobachten Sie Ihre Branche auch auf Ankündigungen von Innovationen. Solche Informationen frühzeitig zu erhalten, verschafft Ihnen Wettbewerbsvorteile.

Ihre Schwächen

Seien wir ehrlich: Kein Produkt ist vollkommen, und immer gibt es Raum für Verbesserungen. Wenn Sie die ersten Kapitel gelesen haben, wissen Sie, dass man über Sie spricht und Menschen auf die Mängel Ihrer Marken oder Produkte hinweisen. Dieses Feedback können Sie nutzen, um Ihr Angebot weiter zu verbessern.

Ihre Geschäftspartner

Arbeiten Sie mit einem Unternehmen zusammen, das in den Schlagzeilen ist? Das kann gut sein, aber auch schlecht – dann nämlich, wenn das Unternehmen in einer Krise ist, die Sie auch betreffen könnte. Und je früher Sie über Managementprobleme, Lieferschwierigkeiten oder gar Umsatzrückgänge und damit Zahlungsschwierigkeiten Bescheid wissen, desto besser.

Ihre Kunden

Vor allem bei B2B-Geschäftsbeziehungen interessant: Wenn Sie erfreuliche Nachrichten von Ihren Kunden mitbekommen, dann gehen Sie direkt auf sie zu und gratulieren ihnen. Das stärkt Ihre Kundenbindung.

Ihr geistiges Eigentum

Beobachten Sie alle Ihre Warenzeichen und Copyrights, um festzustellen, ob diese eventuell missbräuchlich verwendet werden.

Krisenmanagement

Schlimme Dinge können in jedem Unternehmen passieren, egal wie sorgfältig dieses das Personal auswählt und seine Prozesse organisiert. Zücken dann noch Kunden ihr Smartphone und machen den Vorfall ungefiltert über ihre Social-Media-Kanäle öffentlich, hat das Unternehmen ein Problem. Doch auch dann entscheidet die Reaktion darüber, ob es die Empörungswelle eindämmt oder weiter anfacht. Es kommt nun darauf an, zeitnah, aufrichtig und empathisch zu reagieren – und dabei die richtige Person kommunizieren zu lassen.

Die Fluggesellschaft United Airlines erlitt bereits 2008 einen Reputationsschaden durch Mitarbeiter, die sorglos mit dem Gepäck der Passagiere umgingen. Dabei ging die Gitarre eines Musikers zu Bruch, und seine Beschwerde wurde so lange nicht ernst genommen, bis er daraus einen Song machte. Das Video »United breaks guitars« ging auf YouTube viral und wurde bis heute über 20 Millionen Mal angeschaut.21 Am Ende entschuldigte sich die Fluggesellschaft und ersetzte den Schaden. Nun ist anzunehmen, dass das Unternehmen aus seinem Fehler gelernt hat und sowohl den Kundenservice verbesserte als auch einen ausgefeilten Krisenplan griffbereit in der Schublade hat. Um die Pointe vorwegzunehmen – das scheint nicht der Fall zu sein.

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Abbildung 4-16 Die erste Reaktion von United Airlines kam nicht gut an.

Infolge einer Überbuchung kam es 2017 zu tumultartigen Szenen an Bord eines Flugzeugs von United Airlines. Als ein Passagier durch Sicherheitskräfte aus dem Flugzeug geschleift wurde, landete der Fall mit Originalvideos von Passagieren in den sozialen Medien. Vonseiten des Unternehmens passierte erst einmal wenig bis gar nichts. Auf Nachfragen twitterte United Airlines, dass sie sich für die Überbuchung entschuldigten, und sprachen dann von einem »removed customer«, was die Empörung weiter anheizte.

Erst als die Kritik in den sozialen Netzwerken immer lauter wurde, entschuldige sich der Vorstandsvorsitzende persönlich. Die ausführliche Entschuldigung des höchsten Chefs kam gut an, was sich an den Reaktionen auf Twitter zeigte. Der Tweet erhielt 20.000 Retweets und Tausende Likes, wie Abbildung 4-17 zeigt.

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Abbildung 4-17 Endlich meldete sich der CEO von United Airlines zu Wort.

Auch die bei Jung und Alt beliebte Traditionsmarke Lego hat sich 2018 einen Shitstorm eingehandelt. Die Werbung für einen Lego-Kran wurde bestenfalls als hoffnungslos altmodisch und schlimmstenfalls als sexistisch eingestuft. Bei dem Versuch, besonders die Männer anzusprechen, kam es zu missglückten Postings wie: »So kompliziert wie eine Frau. Aber mit Bedienungsanleitung.« Auf die heftige Kritik über verschiedene Social-Media-Kanäle reagierte Lego, indem der Spielzeughersteller die Kampagne zurückzog und sich öffentlich dafür entschuldigte.22 Auf Facebook postete Lego: »(…) das Spiel mit LEGO-Steinen ist grundsätzlich geschlechtsneutral. Die Kampagne sollte im Vorfeld von Weihnachten die Aufmerksamkeit der wachsenden männlichen Zielgruppe in Deutschland wecken. Für die Form der Umsetzung möchten wir uns ausdrücklich entschuldigen. Wir führen die Social-Media-Kampagne nicht fort. Das wertvolle Feedback, das wir erhalten haben, werden wir bei künftigen Aktionen berücksichtigen.«

Wichtig sind an diesem Beispiel zwei Dinge: Erstens hat Lego auf die Kritik reagiert und die Kampagne zurückgezogen. Zweitens hat sich Lego entschuldigt und die Kritik als wertvolles Feedback bezeichnet, womit sie zeigen, dass sie ihre Fans und Kunden ernst nehmen.

Der Chef der Altbierbrauerei »Füchschen«, Peter König, zeigte sich 2019 weniger einsichtig, nachdem seine Werbeplakate als sexistisch kritisiert wurden. Erst als sich der Werberat einschaltete, lenkte der Brauereichef ein und löschte das beanstandete Motiv der Kampagne auch auf Social Media.23

Vielleicht sind Sie das Opfer einer Reputationsmanagementkrise geworden. Nun blicken alle auf Sie: Es ist Ihre Aufgabe, schnell und richtig zu reagieren, auch durch Maßnahmen in Social Media. Gehen Sie mit Reputationskrisen professionell um und kommunizieren Sie aufrichtig und umfassend, statt eine Hinhaltetaktik zu betreiben. Bedenken Sie, dass Sie ohnehin schon in einem schlechten Licht wahrgenommen werden. Reagieren Sie zu emotional, kann sich die öffentliche Meinung noch stärker gegen Sie wenden.

Eine Reputationsstrategie sollte langfristig angelegt sein, und sie benötigt Zeit sowie Ressourcen. Ein regelmäßiges Social Media Monitoring, wie in Kapitel 3 beschrieben, ist dabei unerlässlich. Mit einem guten Monitoring werden Sie auf die Anfänge einer Empörungswelle aufmerksam und können diese verhindern oder wenigstens abschwächen. Falls sie sich nicht mehr aufhalten lässt, haben Sie zumindest zeitlichen Vorlauf, um eine Strategie zu entwickeln. Schalten Sie dazu auch Verbündete aus Ihrem Netzwerk ein.

Krisen-PR im Social Web: transparent, authentisch, schnell

Manche Unternehmen verhindern Reputationsmanagement-Fiaskos schon im Vorfeld, aber manchmal ist ein Konflikt unausweichlich. Die Stakeholder und Community-Mitglieder erwarten dann, dass Unternehmen zu ihren Fehlern stehen. Wenn eine Kreditkartengesellschaft ein Sicherheitsleck hat, wollen sich die Karteninhaber versichern, dass ihre Daten sicher sind. Mindestens aber wollen sie schnell informiert werden, sollte es nicht mehr der Fall sein. Im Fall einer Unternehmenskrise zählen Engagement, Transparenz und Schnelligkeit. Legt das Unternehmen die Krise offen und gibt den Fehler ehrlich zu, kommt das in der Regel gut an. Natürlich ist es gleichermaßen wichtig, dass das Unternehmen einen Masterplan hat, um das Problem aus der Welt zu schaffen und eventuell die Kunden zu entschädigen. In solchen Fällen kommt es gut an, wenn sich ein Mitglied der Unternehmensführung persönlich bei seinen Kunden entschuldigt und nicht seinen Pressesprecher schickt, wie das Beispiel von United Airlines zeigt.

Wenn Sie an die Community herantreten, stellen Sie den Fehler, den Sie (angeblich) begangen haben, ehrlich dar. Erläutern Sie dann, wie Sie die Sache zu bereinigen gedenken, oder informieren Sie darüber, dass Sie schon Maßnahmen ergriffen haben, um das Problem zu beheben. Seien Sie präsent, um auf konkrete Beschwerden persönlich einzugehen, und bieten Sie verschiedene Kommunikationskanäle an, um Ihre Gesprächspartner zu beschwichtigen. Lassen Sie idealerweise einen leitenden Mitarbeiter schnell auf die Beiträge antworten. Wenn die Community findet, dass die Situation mit einer öffentlichen Entschuldigung noch nicht abschließend bereinigt ist, geben Sie ihr einen Ort, wo sie weiterdiskutieren kann.

Intern können Sie den Reputationsmanagement-Schlamassel für die Zukunft verhindern, wenn Sie aus diesen Erfahrungen lernen. Haben Sie bisher noch kein PR-Desaster erlebt, ist jetzt vielleicht genau der richtige Zeitpunkt, um Ihre Mitarbeiter über die Wichtigkeit der öffentlichen Wahrnehmung aufzuklären. Verdeutlichen Sie, dass jeder Schritt überlegt sein muss und nur der beste Service angeboten werden darf, weil die Konsumenten heutzutage ihre Unzufriedenheit mit Ihrem Support oder Service an die Öffentlichkeit tragen können.

Trolle und Hate Speech

Chronisch unzufriedene Menschen gab es schon immer – im Internet werden sie zu Trollen und Hatern. Die Hate Speech (Hassrede) wird im Web zu einem immer größeren Problem. Erschreckend ist bei diesem Phänomen, dass Menschen, die angreifen und beleidigen, sich nicht mehr unbedingt hinter einem anonymen Avatar verbergen. Ganz offen äußern sie rassistische, frauenfeindliche oder transphobe Meinungen. Auch Unternehmen kann es passieren, dass ihre Seite zum ungewollten Mittelpunkt hässlicher Diskussionen wird. Störenfriede sollten konsequent in ihre Schranken gewiesen werden. Die alte Regel »Do not feed the troll« hilft meist auch im Umgang mit Hatern. Ihnen eine Plattform zu bieten, ist keine kluge Idee. Ein Beispiel: Sie werden auf Twitter mit einem Tweet zu Unrecht angegriffen und retweeten diesen mit einem entsprechenden Kommentar. Sie haben damit Ihre Meinung kundgetan, aber zugleich dem Angreifer weitere Aufmerksamkeit und Reichweite verschafft.

Zudem haben Sie als Unternehmen eine Verantwortung für die Diskussionskultur auf Ihrer Seite und sollten keine allzu passive Haltung einnehmen. Haben Sie jedoch keine Ressourcen, Kommentare in Blogs und Social Media kontinuierlich zu überwachen, kann es eine Option sein, diese abzuschalten – zumindest vorübergehend.

Definition

Bei der Netiquette handelt es sich um Spielregeln für den Umgang in einem Forum oder einem sozialen Netzwerk. Das Kunstwort leitet sich aus Net und Etikette ab, überträgt also Höflichkeitsregeln in die Onlinewelt. Wer ein Forum, eine Facebook-Gruppe oder ähnliche Orte des öffentlichen Austauschs anbietet, ist gut beraten, eine solche Netiquette zu definieren. Verstößt ein Teilnehmer dagegen, können Sie mit Verweis auf Ihre Netiquette seine Beiträge löschen, ohne dass es zu einem Shitstorm kommt.

Nutzen Sie in Social Media auch die Möglichkeiten, die Ihnen die jeweiligen Plattformen bieten. In Twitter, Instagram und Facebook können Sie Fans und Follower stumm schalten, blockieren oder melden. Bei Facebook können Sie einen Filter für vulgäre Ausdrücke einschalten und damit verhindern, dass Trolle mit Kraftausdrücken um sich schmeißen, da sie nicht an einem ernsthaften Austausch interessiert sind. In diesem Fall definiert Facebook, welche Ausdrücke als vulgär gelten. Obendrein können Sie eigene Ausdrücke festlegen, bei deren Verwendung der entsprechende Kommentar automatisch als Spam eingestuft und damit nicht mehr angezeigt wird. Sie können den Kommentar dann auch ganz löschen. Kommentare zu löschen, führt häufig zu Diskussionen in der Community, selbst wenn eine Verletzung der Netiquette dies rechtfertigt. Daher bietet es sich an, einen Kommentar nur auszublenden. Damit ist er noch für den Verfasser und dessen Freunde sichtbar, aber nicht mehr für weitere Seitenbesucher. Dies ist keine Option, wenn es sich um potenziell strafrechtlich relevante Äußerungen handelt.

Was Sie zum Thema Meinung versus Tatsachenbehauptung beachten müssen und was »notice and take down« bedeutet, erfahren Sie in unserem umfangreichen Kapitel 15 zu rechtlichen Fragen am Ende des Buchs.

Das NetzDG und seine Folgen

Seit 2018 gilt in Deutschland das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG).24 Das Gesetz soll Hetze und Hass im Internet verhindern, führt jedoch in der Praxis gelegentlich zu Überreaktionen seitens der Plattformen. In vorauseilendem Gehorsam und nicht immer zu Recht sperren oder löschen sie Beiträge und Nutzerkonten. Grund sind hohe Bußgelder, die den Plattformbetreibern drohen, sofern sie ihrer Pflicht nicht nachkommen, »offensichtlich rechtswidrige Inhalte« innerhalb von 24 Stunden zu löschen oder zu sperren. Zu solch offensichtlich rechtswidrigen Inhalten zählt zum Beispiel die Anleitung zu schweren Straftaten, Volksverhetzung und die Verbreitung verbotener Symbole. Werden den Plattformen »nicht offensichtlich rechtswidrige Inhalte« gemeldet, verlängert sich die Frist auf sieben Tage.

Die betroffenen Social-Media-Plattformen sehen die Möglichkeit vor, Beiträge oder Konten mit Verweis auf das Gesetz zu melden. Wer bei Twitter einen offensichtlich rechtswidrigen Tweet melden möchte, wählt ganz unkompliziert »Fällt unter das Netzwerkdurchsetzungsgesetz« als Meldegrund aus. Das bedeutet aber auch, dass beispielsweise ein politisch missliebiger Twitterer schnell mundtot gemacht wird, wenn sich einige gegen ihn verschwören und seine Tweets entsprechend klassifizieren. Nach 24 Stunden hat sich das Dilemma zwar wahrscheinlich aufgeklärt, aber bis dahin kann sich derjenige nicht zu Wort melden.

Ein weiterer negativer Auswuchs im Internet sind Fake News mit Lügen und Propaganda sowie Behauptungen statt belegter Tatsachen. In ihrer Aufmachung versuchen die Fake News den Eindruck zu erwecken, echte und verlässliche Nachrichten zu verbreiten. Solche »gefälschten Nachrichten« verbreiten sich innerhalb einzelner Filterblasen im Internet oft sehr schnell, teilweise unterstützen Bots die Verbreitung. Dabei werden Unwahrheiten verbreitet, reißerische Fotos in einen falschen Zusammenhang gesetzt und Privatpersonen, Prominente, Politiker oder Unternehmen verleumdet. Hier ist ein ähnliches Vorgehen wie beim Hate Speech gefragt. Auch von Internetkriminellen werden Fake News verwendet, um beispielsweise Phishing zu betreiben.

Zusammenfassung

Schon das Cluetrain-Manifest aus dem Jahr 1999 spielte auf das heutige Phänomen von Social Media an: Unternehmen sprechen mit ihren Kunden. Märkte sind Gespräche, und soziale Medien geben Verbrauchern die Möglichkeit, direkt mit ihren bevorzugten Marken zu sprechen.

Marketing ist Mitwirkung. Als Marketingexperte sollten Sie eine aktive Rolle in den Social-Media-Netzwerken übernehmen und sich auf glaubwürdige Weise an den Gesprächen beteiligen. Old Spice, Fanta und Ritter Sport sowie viele weitere Marken und Unternehmen haben gezeigt, dass der Trend, Marketing als Mitwirkung zu definieren, überaus positive Ergebnisse hervorrufen kann. Auch kleine und lokal begrenzt agierende Unternehmen können enormen Gewinn aus dem Dialog mit ihren Kunden ziehen.

Social Media Marketing kann auch dem Reputationsmanagement auf die Sprünge helfen, und zwar auf zwei Arten: Wenn ein Unternehmen am Meinungsaustausch teilnimmt, kann es selbst die Eindrücke, die das Publikum von ihm bekommt, mitformen und bestimmen – normalerweise zum Besseren. Durch Zuhören und Ernstnehmen kann eine negative Stimmung in eine positive oder zumindest neutrale umgewandelt werden.

Die zweite Art, wie soziale Medien das Reputationsmanagement erleichtern können, ist die Erstellung von Social-Media-Profilen. Unternehmen können Benutzerkonten auf Social-Media-Plattformen unter den zu beobachtenden Markennamen erstellen und mithilfe der Profile ihre Erwähnung in den Suchmaschinenergebnissen verbessern. Ausdauerndes, sinnvolles Engagement ist vonnöten, damit die Spider der Suchmaschinen die Profilseiten finden, auf ihnen häufige Aktivitäten erkennen und diese Seiten letztlich in den Suchergebnissen weiter oben platzieren, weil sie sie als relevant erachten.

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